Masochistische Männerfantasie in Grün
Er könnte dem jungen Liebhaber seiner Frau, der auch noch ihre Klamotten trägt, vor die Tür setzen. Er könnte mit ihr streiten oder stolz genug sein und den Weg freimachen, schließlich war er selbst längere Zeit verreist, was immer das heißt, hat sie allein gelassen. Er könnte die Wohnung zerlegen, kommt ja vor in solchen Fällen.
Aber er tut nichts. Sitzt da, schaut aus dem Fenster, lamentiert, das könne doch alles nicht sein. Nach längerer Theaterpause kommt Jon Fosse, der einmal ein viel gespielter Autor im europäischen Theater war, mit einem „szenischen Gedicht“ zurück. Für seine Verhältnisse ist „Starker Wind“ jetzt ein relativ wortreicher, ja geschwätziger Text, übersetzt von Hinroch Schmidt-Henkel.
Man kennt Fosse als norwegischen Schweiger
Der norwegische Schweiger – so kannten wir Fosse – lässt den Ehemann in einer Tour fragen, warum die Frau den Neuen auch bei sich wohnen lässt. Sie ist umgezogen, als der Gatte auf Reisen war. Bei all diesen offenen Fragen hat sie dann doch gleich die Sympathien auf ihrer Seite. Maren Eggert legt einen selbstbewussten Auftritt hin, da hat sich Bernd Moss aber gefühlt schon eine halbe Stunde im Elend eingerichtet.
Sie verlässt ihn, vögelt sich den Ehefrust weg, er badet in Selbstmitleid, während Max Simonischek als kräftiger Liebhaber etwas Geisterhaftes an sich hat. Ist er echt? Träumt sie nur?
Es geht um den alternden weißen Mann
Es ist eine masochistische Männerfantasie, was der 62-jährige Jon Fosse da ausbreitet. Man wird ersetzt, ist plötzlich raus. Dieser „Er“ scheint autobiografische Züge zu tragen, wie viele Bücher der erfolgreichen norwegischen Literaten, ob Tomas Espedal oder Karl Ove Knausgard. Ein Hang zur Penetranz lässt sich nicht leugnen, und meist geht es in dieser späten Heldenliteratur auch um den Mann, den alternden weißen, den Sex und andere verlockende Pleiten.
„Enthält der innere Monolog des Mannes am Anfang auch eine indirekte Poetologie?“ Fragt Dramaturg John von Düffel und fängt damit die Grundstimmung ein. Ein verkopftes, ungereimtes Kammerspielchen in den Kammerspielen des Deutschen Theaters: Regisseur Jossi Wieler und Ausstatterin Teresa Veergho haben sich dazu einfallen lassen, das Publikum auf die (Dreh-)Bühne zu setzen.
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Der Ehemann hockt im Zuschauerraum und reißt bei einem – ihm selbst peinlichen – Mini-Ausbruch ein paar wohlpräparierte Sitze heraus. Der Clou soll aber sein: Hinten auf der Bühne steht eine Kletterwand. Dort vergnügt sich das verliebte Paar in steilen Stellungen und schmiert sich zum Höhepunkt mit grüner Farbe ein.
Wie ferngesteuerte Zombies
Man sieht das häufiger, nicht nur in diesem Theater. Wenn nichts mehr geht oder wenn es richtig zur Sache geht, dann sollen Turnübungen herausbringen, was nicht über die Lippen kommt. Und bei Fosse reden sie gut siebzig Minuten lang wie ferngesteuerte Zombies.
Einmal wird sie laut und fordert den Alten auf: „Geh!“ Einmal zeigt sie Emotion, das wäre ein Anfang. Oder ein Ende. Er könne auch bleiben, schlägt der Dritte vor. Man könne sich die Frau teilen. Nein, das könne man nicht, sagt der Verlassene. Die Betrogene aber ist sie. Fosse interessiert sich nicht für die Frau. Irgendwann fällt ihr ein, dass die Kinder nach Hause kommen. (Wieder am 21. November und am 4., 5., 18. und 19. Dezember.)