Loslassen lernen mit David Bowie
Nichts vergeht, alles kehrt zurück. Manchmal gilt das buddhistische Prinzip des ewigen Kreislaufs auch für Dinge. Songs können reinkarnieren. „Toy“ heißt das Album von David Bowie, das sechs Jahre nach dem Tod des Sängers herauskommt. Pünktlich zu seinem 75. Geburtstag am 8. Januar. Es enthält zwölf Stücke, die im Jahr 2000 aufgenommen wurden.
Genauer gesagt handelt es sich um „re-recordings“, denn Bowie hatte alle Songs am Anfang seiner Laufbahn schon einmal veröffentlicht. Damals ohne Erfolg. Nur „Toy“, das Titelstück, war zur Jahrtausendwende noch neu.
Der Weg zur Erleuchtung ist weit, David Bowie war lange Zeit ein Suchender. Er suchte nach der Eingangstür zu Ruhm und Bedeutung, offenbar suchte er auch nach spirituellem Halt. 1967 lebte er für kurze Zeit in einem gerade gegründeten buddhistischen Kloster im schottischen Örtchen Eskdalemuir.
Er war Schüler eines Gurus und stand kurz davor, wie er später erzählte, sich den Kopf rasieren zu lassen, ein Gelübde abzulegen und Mönch zu werden. „Slow down, slow down“, lautet der mahnende Refrain von „Karma Man“, das mit seinem euphorischen Bläsern und Chören zu den besseren Stücken des Albums gehört.
Sonderling im Schneidersitz
Anfangs singt Bowie mit seltsam gehetzter, nagetierartig klingender Stimme von „Kokosnussfellen“, die sich hinter „farbigen Schatten“ verstecken. Der „Karma Man“ sitzt im Schneidersitz auf dem Boden, ein Freak, der auf seinem Arm eine Tätowierung des buddhistischen „Rads des Lebens“ trägt.
Alles, was er besitzt, sind ein „Safran-Gewand“ und ein paar Perlen. Ein Spottlied mit Spinett, das aus dem Original übernommen wurde. Allerdings klingt der Slogan „Slow down“ merkwürdig für einen Musiker, der gerade versucht, seine Karriere ins Laufen zu bringen.
Ernsthafter setzt sich Bowie in der psychedelisch dröhnenden Ballade „Silly Boy Blue“ mit dem Buddhismus auseinander. Begleitet von Streichern, einer Querflöte und einer E-Gitarre, die fast wie ein Sitar klingt, besingt er die Schönheit Tibets, der Berge von Lhasa und des Wegs, der nach Potala führt, zum Palast des Dalai Lama.
Ist der „Silly Boy“ vielleicht dessen Alter ego? Für die Region interessierte sich Bowie, seitdem er als Kind das Buch „Sieben Jahre in Tibet“ des österreichischen Bergsteigers Heinrich Harrer gelesen hatte.
„Ich hasse es, die Energie einer Liveband zu verschwenden“, hat Bowie gesagt. Also bat er die fünf Musiker, mit denen er beim Glastonbury-Festival aufgetreten war, kurz danach eine Platte einzuspielen. Hinzu kamen ein paar Gäste, darunter die Singer/Songwriterin Lisa Germano und der Jazztrompeter Cuong Vu.
Entstanden ist „Toy“ in einem New Yorker Studio weitgehend unter Livebedingungen innerhalb von neun Tagen. Bowie wollte das Album so schnell wie möglich auf den Markt bringen, bekam aber Probleme mit seinem Label EMI/Virgin und verließ daraufhin die Firma. Den Nachfolger „Heathen“ veröffentlichte er 2002 bei Columbia.
Ein stolzer London Boy
Wirft „Toy“ ein neues Licht auf Bowies Werk, muss die Popgeschichte umgeschrieben werden? Wohl kaum. Von der Größe späterer Meisterwerke wie „Life on Mars“, „Heroes“ oder „Ashes to Ashes“ sind die Anfänge des Musikers weit entfernt. Interessant sind sie eher biografisch als musikalisch.
Die mit einer Jazz-Klarinette einsetzende und von einer brummenden Orgel unterlegte Ballade „The London Boys“ beschreibt die Stimmungslage eines jungen Mannes, der sich nicht wohl fühlt in seiner Haut. Die Atmosphäre in der als „Swinging London“ gefeierten Metropole scheint ihn eher zu bedrücken als zu beflügeln.
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Die Schlüsselzeilen singt Bowie mit pathetischem Vibrato: „You think you’ve had a lot of fun / But you ain’t got nothing, you’re on the run.“ Von den „flashy clothes“, die der Protagonist trägt, ist die Rede, von seinen Jobs, die er verachtet, und von den Drogen, die er nimmt. „You take the pills too much“, sie machen ihn krank.
Mit 17 Jahren zog er bei den Eltern aus, aber richtig angekommen in einem neuen, besseren Leben ist er noch nicht. Trotzdem erfüllt es ihn mit Stolz, ein „London Boy“ zu sein.
„Schon als Teenager habe ich mich oft von anderen Menschen sehr weit entfernt gefühlt“, hat Bowie 2002 in einem Interview erzählt. „Ich kam mir stets wie ein Außenseiter vor.“ Aufgewachsen ist er im Londoner Vorort Bromley, in kleinbürgerlichen Verhältnissen, die er als bedrückend empfand.
Später beklagte er die „emotionale und geistige Verstümmelung“ in seiner Familie. Musik wurde zur Fluchtmöglichkeit. Als Kind bekam er eine Gitarre und ein Saxophon geschenkt, seine erste Band gründete er mit 15. Zwei Jahre später bekam er einen Vertrag bei der Plattenfirma Decca.
Messias vom Mars
Sein schlicht „David Bowie“ getauftes Debütalbum kam 1967 am selben Tag wie „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ von den Beatles heraus. Das Cover zeigte den Sänger mit Mod-Frisur, aber die Songs wirkten in ihrer Mischung aus spätem Beat, Folk und Musical unausgegoren. Die Platte floppte. Nur ein Titel daraus hat es auf „Toy“ geschafft, „Silly Boy Blue“, die meisten anderen stammen von Singles und Compilations.
Richtig ernst genommen haben Bowie und seine Mitstreiter das Material seiner frühen Jahre offenbar nicht, als sie es in New York noch einmal einspielten. Das Auftaktstück „I Dig Everything“ rocken sie so rumpelnd runter, dass es zur Parodie wird. Die Beziehungs-Abrechnung „You’ve Got A Habit of Leaving“ klingt mit „Uh-A-Uuuh“-Chören und der mitschunkelfähigen Melodie wie ein 50 Jahre zu spät kommender Doo-Wop-Versuch.
„Can’t Help Thinking About Me“ ist eine müde Northern-Soul-Hommage, die minimalistische Hymne „Shadow Man“ setzt ganz auf Bowies heiser-brüchige Stimme. Entstanden ist sie 1971 bei den Sessions zum „Ziggy Stardust“-Album.
Von „Idee der Vergänglichkeit“ fasziniert
Zum Star geworden ist David Bowie erst im zweiten Anlauf. Seinen Durchbruch schaffte er 1969 mit dem Song „Space Oddity“, den die BBC spielte, nachdem die Apollo 11auf dem Mond gelandet war. Mit Ziggy Stardust erfand Bowie dann die Kunstfigur eines Außerirdischen, der auf die Erde kommt, um den Menschen mit der messianischen Botschaft von Liebe und Erlösung zu beschenken.
Das Spiel mit Geschlechterrollen und Identitäten stand danach im Zentrum von Bowies Kunst. 1974 verließ er Großbritannien, wurde zum Weltbürger, der in Los Angeles, in der Schweiz, Berlin und am längsten in New York lebte.
Am Buddhismus interessierte David Bowie „die Idee der Vergänglichkeit“, wie er in einem Interview sagte. „Dass es nichts gibt, an dem wir uns festhalten können, dass wir früher oder später loslassen müssen.“ Nach seinem Tod 2016 wurde Bowies Asche im Rahmen einer buddhistischen Zeremonie auf Bali verstreut.