Jörg Hartmann in seinem „Tatort“-Revier: „Ich habe lange Zeit gedacht, dass man Heimat mitnehmen kann“

Herr Hartmann, mögen Sie Robinson Crusoe?
(überlegt lange, lacht) Wieso? Ah ja, mein Outfit mit langem Bart im „Tatort“. Manche haben gesagt, dass ich da aussehe wie Tom Hanks in „Cast Away“.

Wie lange hat das gedauert, bis es mit dem Bart so heftig war?
Alles in allem drei Monate.

Ist das auszuhalten? Bei mir sind alle Versuche in der Richtung gescheitert.
Ich wusste, wofür ich’s mache. Aber fragen Sie mal meine Frau.

Besser nicht. Lassen Sie uns über das Thema Heimat reden, zu Ihrer Paraderolle kommen: dem Kommissar Peter Faber, der in der neuen „Tatort“-Folge besondere Erfahrungen macht. Man ist viel Zerschlissenes vom Faber gewohnt, aber wieso musste das Outfit jetzt so krass sein? Sie müssen es wissen: Sie haben erstmals das Drehbuch geschrieben.
Ich hatte lange überlegt, wie es diesem Menschen geht, nachdem die Kollegin, Frau Bönisch, in seinen Armen starb. Wo ist er? An welchem Punkt? Dass er überhaupt noch lebt, hat ja was mit dem Versprechen zu tun, dass er der sterbenden Bönisch gegeben hat: Ich bleibe hier. Sonst wäre er längst vom Dach gesprungen. Jetzt geht er an einen Punkt, den er mit etwas Schönem verbindet.

In seine Heimat, das Kreuzviertel in Dortmund.
Dahin führt ihn erst das Schicksal. Zunächst sucht er das Herdecker Speicherbecken auf. Vielleicht geht man in so einer Lebenskrise zurück an den Ort seiner Kindheit.

Faber sieht nach Jahren seinen Vater wieder, dem er die Schuld am frühen Tod seiner Mutter gab. Erfährt eine Art Läuterung, fast Erlösung. Die Orte seiner Kindheit verändern Faber. Was bedeutet Heimat für Sie, der das spielt? Sie kommen aus dem westfälischen Herdecke.
Lange Zeit habe ich gedacht, dass man Heimat mitnehmen kann. Dass Heimat da ist, wo man wohnt, wo man vernetzt ist.

Das Schreiben war immer etwas in mir, dass sich nie ganz erlöst hatte.

Jörg Hartmann

Bei Ihnen ist das jetzt Potsdam.
Ich zweifle daran. Wichtiger ist, wo man herkommt, wie man geprägt wurde, in den Jahren der Kindheit und Jugend. Die Orte, die Erinnerungen wachrufen, auch wenn sie sich verändert haben. Je älter ich werde, desto mehr vermisse ich das.

Für viele Schauspieler ist das Theater Heimat. Sie arbeiten an der Schaubühne.
Das gaukelt man sich immer vor, dass das Theater Heimat- oder Familienersatz sein könnte. Ich bin da skeptisch.

Ich habe gelesen, dass Sie sich für Bautradition einsetzen. Das hat was Bewahrendes. Stellen Sie da auch Heimat her?(lacht) Wahrscheinlich bin ich so ein kleiner, sentimentaler Westfale. Mich hat schon als Kind in den 1970ern geprägt, wie brutal Stadtsanierung betrieben wurde, wo Bäche begradigt, Hinterhöfe verschwanden und Fachwerkhäuser abgerissen wurden. Da verschwanden Orte, die Kindheit sind. Heimat.

Jetzt klingen Sie zornig.
Ja. Das konnte ich schwer ertragen. Nach dem Mauerfall habe ich gemerkt, was im Osten Deutschlands noch alles vorhanden war, ohne Sanierungswellen. Damals dachte ich nur: „Bitte macht nicht dieselben Fehler wie im Westen!“

Millionen Zuschauer kennen Sie als Schauspieler, weniger als Architekturkritiker oder jetzt eben auch Autor. Wie kam‘s dazu, für den „Tatort“ das Drehbuch zu verfassen?
Ich hatte vor Jahren drei, vier Theaterstücke geschrieben. Das Schreiben war immer etwas in mir, dass sich nie ganz erlöst hatte, keinen Raum und keine Zeit fand.

Jetzt will der Hartmann auch noch schreiben.
Das hat der WDR-Redakteur vielleicht auch erst gedacht, dann aber angebissen. (lacht) Jürgen Werner, der die meisten „Tatort“-Bücher mit der Faber-Figur geschrieben hat, stand mir zur Seite.

Mit dem Heimat-Komplex verbunden ist das Thema Eltern, was oft mit Vorwürfen verbunden ist. Faber muss sich im „Tatort“ hinterfragen. Sein Vater ist dement. Ohne allzu privat zu werden: Mussten oder konnten Sie da etwas von sich und der Beziehung zu Ihrem Vater hineintragen?
Ich wollte diese Geschichte näher an mich heranziehen, kam darauf, nachdem mein Vater verstorben war. Letztendlich sollte es mit einem zu tun haben, wenn man etwas schreibt. Dazu muss ich sagen, dass ich zu meinem Vater ein sehr gutes Verhältnis hatte. Er war ein sehr warmherziger, empathischer, witziger Mensch.

„Tatort“-Ermittler haben ja ein Millionen-Publikum, Fluch und Segen zugleich. Erkennt man sie auf der Straße, mit Vollbart?
Der Dreh war in Coronazeiten. Ich habe zum Vollbart eine Maske getragen, dazu eine Kappe und eine Sonnenbrille. Dann kam jemand und rief.: „Ach, der Kommissar!“ Was soll ich machen? So richtig verstecken kann ich mich nicht.

Lassen Sie uns zurück kommen zum Robinson-Crusoe-Bild. Könnten Sie sich vorstellen, auf einer einsamen Insel zu leben? Immerhin gebe es dort keine Fans. Und keine Bausünden.
(überlegt) Wie lange?

Drei Jahre.
Puuh. Das darf jetzt meine Familie nicht lesen. Ich war neulich in Frankreich, relativ einsam, habe an einem Buch gearbeitet. Hatte Bammel, dass ich mich selbst nicht aushalte. Dann habe ich es extrem genossen. Das waren aber nur zweieinhalb Wochen. Sagen wir mal so: Drei Monate würde ich es auf der Insel ausprobieren.

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