„Ich war sofort verknallt in ihn“
Als er die ersten Musikvideos mit ihm im Fernsehen sah, damals, Anfang der 80er, da war es um ihn geschehen. „Ich war sofort verknallt in Bowie“, sagt Reinhard Kleist und grinst. „Ich habe gemerkt: Der ist anders. Ich bin auch anders.“
Ihn habe damals als Teenager vor allem die androgyne Ausstrahlung des Popstars fasziniert. „Man wusste irgendwie: Der macht auch was mit Männern.“ Und dann die Augen! „Ich habe jedem Auftritt von ihm im Fernsehen entgegengefiebert“, sagt Kleist. „Der kleine Reinhard in seinem Dorf Groß-Vernich im Rheinland hat so eine Figur gebraucht.“
Knapp 40 Jahre später sitzt Reinhard Kleist – raspelkurze Haare, Dreitagebart, runde Brille, grauer Winterpulli – in seinem Atelier in Prenzlauer Berg und hat vor sich ein dickes, neonbuntes Buch liegen, von dessen Cover einen der Mann anschaut, der ihm vor allem in seiner Jugend so viel bedeutete.
„Starman – David Bowie’s Ziggy Stardust Years“ (Carlsen, 176 S., 25 €. Luxusausgabe mit signiertem Druck, 59 €). heißt es und ist nach den international erfolgreichen Titeln „Cash: I see a Darkness“ und „Nick Cave: Mercy on Me“ die dritte Musikerbiografie, die der Berliner Zeichner als Comic adaptiert hat.
„An dem konnte man sich hochziehen“, sagt Kleist. Bowie war für ihn in seiner Jugend „nicht nur ein Popstar, sondern ein Fixstern, bei dem man wusste: Der versteht einen, der hat vielleicht etwas Ähnliches durchgemacht.“ Bowie hatte 1972 in einem Interview gesagt: „I’m gay“ und sich danach immer wieder zu seiner Bisexualität bekannt – für die damalige Zeit revolutionär, auch wenn ihm später vorgeworfen wurde, diese Bekenntnisse seien Teil seiner Marketingmasche gewesen.
„Innerlich tobte da ein Kampf“
„Ich wusste schon ziemlich früh, dass ich auf Männer stehe, habe es aber lange Zeit versteckt und nicht wahrhaben wollen“, sagt Kleist. „Innerlich tobte da ein Kampf.“ Von da an habe er die ganze Zeit verfolgt, was Bowie macht, habe alle seine Phasen mitgemacht „und mal mehr und mal weniger gemocht – aber die Faszination für Bowie blieb die ganze Zeit“.
„Starman“ vermittelt einiges von dieser Faszination, die Bowie bis zu seinem Tod vor fünf Jahren auch bei vielen anderen Fans ausgelöst hat. Das Buch, das sich auf Bowies Werdegang als junger Künstler und die für seine Karriere besonders wichtige erste Hälfte der 70er Jahre konzentriert, ist jedoch mehr als eine illustrierte Biografie.
Es erzählt in opulenten Bildern auch von den Kunstwelten, die Bowie mit seiner Musik und seinen Inszenierungen erschuf – und in denen er sich zwischendurch fast selbst verlor.
[Vor Reinhard Kleist haben bereits Michael Allred, Steve Horton und Laura Allred David Bowies Biografie in einem Comic verarbeitet. Hier gibt es die Tagesspiegel-Rezension ihres Buches „Sternenstaub, Strahlenkanonen und Tagträume“.]
Dafür kombiniert Kleist unterschiedliche Zeichenstile, wie man sie in dieser Mischung von ihm noch nie gesehen hat. Song-Elemente wie die Passagen aus „Five Years“, dem Eröffnungsstück des wegweisenden Albums „The Rise and Fall of Ziggy Stardust and the Spiders from Mars“ von 1972, sind in einem Retro-Stil gezeichnet, der an Superheldencomics der späten 60er erinnert.
Bowies Jugendjahre und seine stellenweise verzweifelt wirkenden Versuche, ein berühmter Künstler zu werden, vermittelt Kleist in einem sachlichen, dokumentarisch wirkenden Stil.
Die Raumfahrer-Ballade „Space Oddity“ von 1969, eine Wegmarke in der Laufbahn des Künstlers, ist in kühl wirkenden Bildern à la „2001 – Odyssee im Weltraum“ in Szene gesetzt.
Und die Auftritte von Bowie und seiner Band als Ziggy Stardust and the Spiders from Mars, die zunehmend spektakuläre Glamrock- Shows waren und den visuell stärksten Teil von „Starman“ ausmachen, werden im knallbunten Pop-Art-Look und mit dynamischen Tuschelinien vermittelt.
Ein Höhenflug samt Bruchlandung
Ziggy erscheint hier als eine Art Außerirdischer, der die Träume seiner meist jugendlichen Fans verkörpert, jemand anderes zu sein und dem grauen Alltag zu entfliehen. Ein Höhenflug, der auch Bowies Privatleben erfasste – Bruchlandung inklusive.
Für diesen Look hat Kleist erstmals mit einem Koloristen zusammengearbeitet, dem Illustrator Thomas Gilke. „Mir war von Anfang an klar, ich kann das mit den Farben nicht alleine leisten“, erzählt er. „Mein Farbgefühl ist eher gedeckt und zurückhaltend, aber wir brauchten jemand, der den Geist der 60er und 70er Jahre trifft.“
Thomas Gilke und er hätten sich daher die Arbeit an der Farbgebung geteilt: „Ich habe eher die Rückblenden gemacht, dazu Szenen aus Space Oddity, die auch eher klassisch koloriert sind.“ Bei den anderen Szenen habe Gilke „in die Vollen gegriffen“. Als er die ersten farbigen Seiten sah, sagt Kleist, musste er erstmal schlucken. Aber dann war er begeistert, wie sehr die Farben den Geist jener für die Popgeschichte so bedeutsamen Jahre vermittelten.
[Er war drogensüchtig, pleite, und eine andere Rocklegende aß ihm den Kühlschrank leer. Was David Bowie dem Tagesspiegel 2002 über seine Berliner Jahre erzählte, lässt sich hier nachlesen.]
Auch zeichnerisch hat sich Kleist umgestellt. Während sein Nick-Cave-Comic von schroffen Linien und großflächigem Schwarz geprägt war, hat er für „Starman“ wieder „mit funktionierenden Pinseln gearbeitet“. Für das Nick-Cave-Buch habe er seine Pinsel kaputt gemacht, damit der Look kantiger, zackiger aussieht. Für Bowie kam dann ein Satz neuer Pinsel zum Einsatz.
Anders als bei Cash und Cave werden in „Starman“ viele Songs nur kurz zitiert – das hat juristische Gründe. „Die große Schwierigkeit war, dass wir die Rechte an den Liedtexten nicht bekommen haben.“ Bei Cash und Cave sei das kein Problem gewesen. Bei Bowie hingegen konnte sein Verlag nur für zwei Lieder die Rechte bekommen. „Für die anderen kam ein Nein von Bowies Management.“
Ein faustischer Dialog zwischen Ziggy und Bowie
Daher habe er für das aktuelle Buch mehr um die Songs „herumgeschrieben“. Dabei hat sich Kleist auf einen Konflikt konzentriert, der im Leben des Musikers wiederholt eine Rolle spielte und den er in mehreren Alben thematisiert hat: „Ich fand es total spannend, wie Bowie seine eigene Welt schafft, seine eigenen Figuren, und so etwas wie ein Gott wird“, sagt Kleist, der den Plot zusammen mit seinem Redakteur Michael Groenewald entwickelt hat.
„In seinem eigenen Universum hat er die Macht, mit den Figuren zu machen, was er möchte: Er kann sie umbringen, glücklich werden lassen, was auch immer.“ Mit dem Rock-’n’-Roll-Messias Ziggy Stardust, der an den Verlockungen des Ruhms zugrunde geht, habe Bowie zudem eine zweite Version seiner selbst geschaffen.
„Diese Figur hat dann wieder einen direkten Einfluss auf sein persönliches Leben, weil seine Umwelt auf diese erfundene Figur so reagiert, dass sie die andere Person gar nicht mehr wahrnimmt.“ Bowie habe in Interviews jener Jahre von Ziggy Stardust als von einer lebenden Figur gesprochen.
Und so lässt Kleist Ziggy und Bowie in einer Schlüsselszene in einen faustischen Dialog treten, der in ein dramatisches Finale mündet.
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Dass sich Kleist jetzt erneut einem Musiker widmet, hat viel damit zu tun, dass derartige Comics zu Kooperationen mit Musikern einladen. So hatte er nach der Veröffentlichung des Cave-Buches vor vier Jahren viel Spaß mit Live-Auftritten, für die sich die Band „The Good Sons“ formiert hat. „Da war klar: Ich will das weitermachen.“
Seitdem begleitet ihn die Band regelmäßig bei Performances, während derer seine Zeichenkunst live auf eine Leinwand übertragen wird. Zur Veröffentlichung von „Starman“ ist für den 9. Dezember auch eine Bowie-Party mit der Band im Kreuzberger Club SO36 geplant (Oranienstr. 190, 10999 Berlin, 11€) – falls die Pandemie das nicht noch durcheinanderbringt.
Es wird allerdings nicht das letzte Mal sein, dass sich Kleist mit Bowie beschäftigt und dessen Songs auf der Bühne präsentieren kann: Er arbeitet bereits an einem zweiten Teil von dessen Biografie, der in den Jahren nach Ziggy Stardust und vor allem während Bowies Zeit in Berlin spielt. Der Musiker lebte hier von 1976 bis 1978 und schuf die Alben „Low“, „Heroes“ und „Lodger“.
In diesem zweiten Buch will Kleist dann auch etwas auflösen, was nach der Lektüre des ersten Bandes offen bleibt. Und zwar, wer der Erzähler ist, der in „Starman“ von Bowies und Ziggys Aufstieg und ihrem Fall berichtet und dem Musiker offenbar sehr nahestand. Denn auch wenn sein Bowie-Buch eine persönliche Auseinandersetzung mit Bowie und seinem Werk sei, sei der Erzähler nicht er selbst, sagt Kleist: „Wer das ist, wird später verraten.“