„Ich trage am Platz keine Maske“
Herr Schulz, die Saison hat an der Staatsoper am 28. August begonnen. Kommt denn das Publikum wieder?
Wie sehr unser Publikum Oper vermisst hat, merkt man an den extrem emotionalen Reaktionen. Es gab keinen Abend, an dem ich nicht das Gefühl hatte, dass alle, die da sind, beglückt waren, von dem, was sie erlebten. Die Kommunikation mit dem Publikum ist für die Künstler sehr wichtig, und wenn so viel zurückkommt aus dem Saal und sich rückkoppelt mit der Interaktion auf der Bühne, dann spürt man, warum Live unersetzbar ist.
Aber die Vorstellungen sind noch nicht ausverkauft, oder?
Wir hatten vor der Coronakrise rund ein Viertel internationales Publikum und auch einen großen Anteil überregionaler Gäste aus ganz Deutschland. Diese Besuchergruppen fehlen derzeit noch massiv. Und es gibt auch Berlinerinnen und Berliner, die noch zögerlich sind. Das muss man respektieren – und gleichzeitig dafür werben, dass der Aufenthalt bei uns wirklich sicher ist.
Sie sagen, dass die Staatsoper stark vom Tourismus abhängt. Zum Saisonstart haben Sie nur die Hälfte der Tickets verkauft, seit vergangenem Wochenende bieten Sie nun wieder alle 1380 Plätze pro Abend an. Ist das nicht tollkühn?
Vor dem Ausbruch der Pandemie hatten wir eine fantastische Auslastung, dahin werden wir so schnell nicht wieder kommen. Die Einnahmen sind ein wichtiger Baustein unseres Etats, fast noch wichtiger aber ist es, ein Signal zu setzen: Wir wollen zurück zur Normalität! Und dazu gehört eben die dichte Atmosphäre im Zuschauerraum, wie wir sie am 18. September im voll besetzt und ausverkauften Haus endlich wieder erleben konnten. Das wird eine Sogwirkung entwickeln.
Der Hygienerahmenplan des Berliner Kultursenators erlaubt, dass nach der 3G-Regel bis zu 2000 Personen in Sälen mit moderner Klimatechnik sitzen dürfen – und zwar ohne Mund-Nasen-Bedeckung während der Vorstellung. Dennoch richten Sie an Ihre Besucher die Bitte, auch nach dem Erreichen des Platzes die Maske aufzubehalten. Warum?
Es ist eine Maskenempfehlung. Wir kontrollieren sehr streng, dass alle geimpft, genesen oder getestet sind, aber wer sich unsicher oder unwohl fühlt, kann sich zusätzlich mit einer FFP2-Maske schützten.
Haben Sie schon Erfahrungen gemacht, dass Zuschauer, die sich für eine Mund-Nasen-Bedeckung entscheiden, in Konflikt mit Nebensitzenden geraten, die von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Maske abzusetzen?
Wir befinden uns in einer Testphase, aber aktuell habe ich noch keine solchen Rückmeldungen bekommen.
Wie halten Sie es selbst mit der Mund-Nasen-Bedeckung?
Ich trage am Platz keine Maske, weil ich weiß, wie gut die Belüftung ist und ich mich in unserem Haus sicher fühle.
Sie wollen zur Normalität zurück. Die komplette Normalität aber bekommt man nur durch die 2G-Regel, bei der nur Geimpfte und Genesene eingelassen werden. Dann müssen nämlich auch beim Einlass und in den Pausen keine Masken getragen werden. Warum konnte sich bislang keine Berliner Bühne dazu durchringen?
Ja, es gibt diese Möglichkeit, aber selbst aus der Kulturverwaltung kam die Empfehlung, erst einmal noch bei 3G zu bleiben. Ich kämpfe sehr fürs Impfen, aber ich finde es andererseits auch schwierig, Menschen von kulturellen Veranstaltungen auszuschließen.
Ihr Publikum ist eher älter. Kinder unter 12 Jahren, die noch nicht geimpfte werden können, gehen abends selten in Opernvorstellungen, in Berlin sind von den Über-60-Jährigen 87,8 Prozent geimpft. Eine 2G-Regel würde Unter den Linden also nur sehr wenige potenzielle Besucher betreffen.
Ich möchte nicht ausschließen, dass wir diesen Schritt noch gehen, denn wir wollen alles tun, um den Betrieb zu normalisieren. Aber es gibt ein arbeitsrechtliches Problem: Einerseits darf ich den Impfstatus des Personals nicht abfragen, andererseits muss ich gewährleisten, dass auch alle beteiligten Mitarbeiter geimpft oder genesen sind, wenn ich die 2G-Regel fürs Publikum anwenden will.
Sie befinden sich also in einer Zwickmühle, aus der Sie nur die Politik befreien kann.
Ja, allerdings ist unser Gegner – das sollten sich alle immer wieder klarmachen – nicht die Politik, sondern ein Virus. Die Zusammenarbeit der Institutionen mit Kultursenator Klaus Lederer hat in der Coronakrise gut funktioniert, als Wechselspiel, als gegenseitiges Herantasten an jeden neuen Öffnungsschritt.
Nur durch eine Herdenimmunität kommen wir zur Normalität zurück. Wer sich entschließt, nicht auf die Bedürfnisse der Gesamtgesellschaft zu schauen, sondern nur auf seine persönliche Befindlichkeit, und sich darum nicht impfen lässt, muss derjenige nicht in Kauf nehmen, dass er von der Teilnahme an bestimmten kollektiven Vergnügungen ausgeschlossen wird?
Ich empfinde es jetzt schon so, dass man als Geimpfter mehr Freiheiten hat. Einfach, weil man Zugang durch das Vorzeigen des Nachweises erhält und sich nicht extra testen lassen muss. Diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, haben oft Gründe, die sich mit dem Anreiz, eine Opernvorstellung zu besuchen, nicht überwinden lassen.
Der Hygienerahmenplan des Senats eröffnet die Option, nur einzelne Abende als 2G-Veranstaltungen anzubieten und sonst bei 3G zu bleiben. Was halten Sie davon?
Das könnte zu einer kompletten Verwirrung beim Publikum führen. Wir haben überlegt, beispielsweise für die Aufführungen im „Alten Orchesterprobensaal“, wo es keine Klimaanlage gibt, 2G einzuführen – doch im Moment wollen wir noch einheitlich vorgehen. Ich denke, wir müssen die Impfentwicklung der nächsten beiden Monate abwarten, bevor weitere Schritte unternommen werden.
Ihre erste Premiere ist am 3. Oktober „Così fan tutte“. Damit setzt Daniel Barenboim seine Mozart-Trilogie fort, die mit „Figaro“ begann und 2022 mit „Don Giovanni“ vollendet wird. Haben Sie noch den Überblick, wie oft der Maestro seit seinem Amtsantritt in Berlin 1992 diesen Da-Ponte-Zyklus bereits herausgebracht hat?
Es ist tatsächlich schon sein fünfter Zyklus. Ihm war es wichtig, die Werke jetzt noch einmal als Ganzes zu präsentieren, mit dem Regisseur Vincent Huguet, der ein Konzept für alle drei Stücke entwickelt hat, das einen gesellschaftlichen Bogen von 1968 ins Heute schlägt.
Zu den Schwerpunkten, die Sie als Intendant gesetzt haben, gehören die Barocktage, mit denen Sie das Engagement des Hauses in diesem Repertoirebereich auf ein Festival fokussieren. Vor der Coronakrise konnten Sie damit Barockliebhaber aus aller Welt nach Berlin locken. Fürchten Sie diesmal halbleere Säle?
Wir bieten drei Opernproduktionen und 15 Konzerte zwischen dem 2. und 14. November. Ich glaube, es gibt in Europa nichts Vergleichbares. Mit André Campra präsentieren wir einen französischen Komponisten, der in der 279-jährigen Geschichte der Staatsoper noch nie auf dem Spielplan stand. Die Dirigentin Emmanuelle Haim wird den Beweis antreten, dass sein „Idomenée“ ein Meisterwerk ist. Simon Rattle leitet Rameaus „Hippolyte et Aricie“, Christophe Rousset „Orfeo ed Euridice“ von Gluck. In der Tat hatten wir bei den Barocktagen zuletzt Besucher aus über 40 Nationen. Diesmal hoffe ich besonders auf die Neugier der Berlinerinnen und Berliner. Und wir machen natürlich unser Programm über alle Kanäle der sozialen Netzwerke bekannt. Allein unser Instagram-Account hat mittlerweile fast 70 000 Follower.
Musikvermittlung gehört zu Ihren Herzensprojekten. Laufen die Projekte für Kinder und Jugendliche mittlerweile normal?
Ja, das Kinderopernhaus Berlin kann Ende Oktober endlich seine Premiere „Sehnsucht.Lohengrin“ feiern und auch das Opernkinderorchester probt wieder. In den Musikschulen gibt es ja ganz fantastische Lehrer, auch dem Ensemblespiel wird eine große Bedeutung beigemessen. Mit unserem Opernkinderorchester möchten wir darauf aufbauend 90 Kinder im Alter von sieben bis 12 Jahren überregional zusammenzubringen, die auch von Musikern der Staatskapelle betreut werden und bei uns im Saal eine internationale Plattform bekommen.