Fortuna Düsseldorf und die Freispiele für alle: Sind die bekloppt? Ganz und gar nicht!

In den Nachrufen auf die Sportreporter-Legende Ernst Huberty ist dieser Tage noch einmal an die aus heutiger Sicht geradezu abstrusen Zustände des deutschen Profifußballs in der vorkommerziellen Zeit erinnert worden. An Zustände, die sich Menschen unter 40 vermutlich nur schwer vorstellen können.

Dass zum Beispiel in der Sportschau von jedem Bundesligaspieltag nur bewegte Bilder von drei Spielen gezeigt wurden. Und dass dies der explizite Wunsch der Vereine war, die sich um die Attraktivität ihres Produkts sorgten. Diese Sorge ging so weit, dass es selbst den Radiosendern noch in den Achtzigern nicht erlaubt war, sich bei Bundesligaspielen jederzeit live aus den Stadien zu melden.

Was das alles mit dem Zweitligisten Fortuna Düsseldorf und seinem Plan zu tun hat, die Zuschauer künftig kostenlos zu den Spielen seiner ersten Mannschaft ins Stadion zu lassen? Vielleicht mehr, als man auf den ersten Blick annehmen könnte.

Die Zustände verändern sich. Was früher logisch war, erscheint uns heute abstrus. Und was heute abstrus ist, könnte morgen schon völlig normal sein.

Ist schon wieder der 1. April?

Als am Dienstagabend die ersten Meldungen über das Vorhaben der Fortuna aufploppten, haben viele vermutlich erst einmal auf den Kalender geschaut. Haben wir tatsächlich schon den 25. April? Oder ist doch schon wieder der 1. April? Und natürlich läuft es in einem solchen Fall nicht ohne die üblichen Witzeleien in den sozialen Medien ab. Sie reichten von „Was nichts kostet, ist auch nichts wert“ bis zu „Fortuna? Nicht mal, wenn Sie mir Geld zahlen!“

Die Düsseldorfer wollen in der kommenden Saison bei zunächst drei ausgewählten Spielen allen Interessierten freien Eintritt gewähren. Perspektivisch soll dieses Angebot dann auf alle Begegnungen der Fortuna ausgeweitet werden.

Was soll das?, könnte man nun fragen. Oder auch: Sind die bekloppt? Dabei ist die Idee der Düsseldorfer, die gleich mal als „absolute Welt-Sensation“ abgefeiert worden ist, durchaus spannend – auch wenn sie ganz sicher noch nicht in allen Details zu Ende gedacht ist.

Was zum Beispiel bedeutet es für einen gefallenen Traditionsklub aus der Regionalliga West, der auch weiterhin elf Euro Eintritt für die Spiele seiner ersten Mannschaft verlangen muss, wenn in Düsseldorf höherklassiger Fußball für lau zu sehen ist?

Die Idee ist spannend, aber noch nicht zu Ende gedacht

So wie heute Amateurklubs mangels medialer Präsenz auf die Zuschauereinnahmen angewiesen sind, so war es in den Sechziger- und Siebzigerjahren selbst noch in der Bundesliga. Die Ticketverkäufe stellten für die Vereine die wichtigste Einnahmequelle dar. Andere hatten sie nämlich nicht (oder kaum). Trikotsponsoren waren noch nicht erlaubt, Trikots und Schuhe wurden den Vereinen nicht etwa von ihren Ausrüstern gestellt: Sie mussten sie selbst bezahlen.

Seitdem sind immer neue Erlösquellen hinzugekommen. Und trotzdem: Warum sollte man auf leicht verdientes Geld aus Ticketverkäufen verzichten, selbst wenn es am Gesamtertrag einen immer geringeren Anteil ausmacht? Die Fans kommen schließlich, obwohl sie bezahlen müssen. Selbst in Düsseldorf.

Auch die Fortuna verzichtet – nach allem, was man bisher über das neue Modell weiß – nicht freiwillig auf Einnahmen. Die Freispiele für alle sind nur dank Sponsoren möglich. Und man kann sich vermutlich schon mal darauf einstellen, in Düsseldorf in der Merkur Spiel-Arena künftig mit noch mehr Werbebotschaften behelligt zu werden als bisher schon. Umsonst ist schließlich nur der Tod.

Die Bundesligisten müssen sich Gedanken machen

Man muss die Düsseldorfer daher nicht zu barmherzigen Samaritern überhöhen, die künftig auch Menschen den Besuch von Fußballspielen ermöglichen, die dazu sonst nicht in der Lage wären. Aber tatsächlich geht es darum, neue (nicht nur soziale) Kundenschichten zu erschließen.

Das Stadionerlebnis ist in den vergangenen Jahren immer wieder als mögliches Alleinstellungsmerkmal der Bundesliga bemüht worden: volle Stadien, gute Stimmung, schöne Bilder. Das lässt sich – angeblich auch international – prima vermarkten. Aber wenn man ehrlich ist: Wo und wie oft gibt es dieses Stadionerlebnis denn heute überhaupt noch?

Im normalen Ligaalltag machen die Ultras in der Kurve Rabatz. Sie spulen, angefeuert von ihrem Vorsänger, ihr Repertoire an Liedern und Parolen ab; das Gros des Publikums auf den etwas teureren Plätzen hingegen hat eher den Anspruch, unterhalten zu werden, als selbst zur Unterhaltung beizutragen. Immerhin zahlt man eine Menge Geld für den schönen Sitzplatz.

Das Stadionerlebnis leidet

Wer bei angesagten Klubs wie Bayern, Dortmund, Schalke, Gladbach oder Köln eine Dauerkarte hat, der wird sie unter normalen Umständen erst im Falle des eigenen Todes wieder hergeben. Fluktuation innerhalb des Publikums findet dadurch kaum noch statt. Einige Stadionmanager in der Bundesliga müssen sich inzwischen sogar mit dem Problem beschäftigen, wo sich während der Spiele all die Rollatoren der schon etwas älteren Zuschauer verstauen lassen.

Das Spannende am Vorhaben der Düsseldorfer ist, dass der Klub „out of the box“ denkt, also eingetretene Pfade verlässt. Das ist im deutschen Profifußball immer noch die Ausnahme, weil sich der deutsche Profifußball – zumindest vor Corona – keine Gedanken um seine Erlöse machen musste. Immer mehr, immer höher, immer weiter: Es schien eine Art Naturgesetz dieser gesegneten Branche zu sein.

Nach der vorherrschenden Logik der Betriebswirtschaftler in den Profivereinen braucht ein Stadion möglichst viele teure Sitzplätze. Die bringen schließlich die Einnahmen, mit denen sich dann wiederum die billigeren Stehplätze querfinanzieren lassen.

Oder, um es mit den Worten von Uli Hoeneß zu sagen: „Was glaubt ihr eigentlich, wer euch alle finanziert? Was glaubt ihr eigentlich, was wir das ganze Jahr über machen, damit wir euch für sieben Euro in die Südkurve lassen können?“

Die Folgen dieses Denkens machen sich schon jetzt bemerkbar. Wer sitzt, reagiert nun mal weniger enthusiastisch auf das Geschehen auf den Rängen. An vielen Bundesligastandorten wirkt die Stimmung daher längst irgendwie sediert.

Mit aller Härte aber werden die Veränderungen die Bundesligisten erst in einigen Jahren treffen: wenn das Durchschnittsalter der Stadionbesucher weiter steigt und Jugendliche, die potenziellen Kunden von morgen, keinen Bock mehr auf die Rentnerveranstaltung Fußball-Bundesliga haben. Spätestens dann ist es auch keine Frage des Preises mehr.