Der Deutschlandbildner
Für den Dokumentarfilmer Hartmut Bitomsky spielt Größe keine Rolle. Sein Interesse gilt naturgemäß dem, was hinter den Dingen liegt. Und so widmen sich seine beiden bislang letzten Filme zwei Gegenständen von diametralen Dimensionen: In „B-52“ (2001) erzählt er die Geschichte des amerikanischen Langstreckenbombers, der die globale Nachkriegsordnung (aber auch das Kino, dank Kubricks „Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“) wie keine andere militärische Erfindung geprägt hat. In seinem Essayfilm „Staub“, der 2007 auf dem Festival in Venedig lief, versucht sich Bitomsky an einem dezidiert unfilmischen Sujet, kommt dabei aber schnell vom Hausstaub über Farbpigmente bis zu den Resten vergangener Sonnensysteme.
Das ebenso konkrete wie assoziative Denken ist die natürliche Arbeitsweise Bitomskys, der am 10.Mai 1942 in Bremen geboren wurde. Sein Werk ist in der deutschen Kinogeschichte, nach dem Ende des Neuen Deutschen Films, ziemlich einzigartig; allenfalls vergleichbar mit dem seines Studienfreunds Harun Farocki und der deutlich jüngeren Hito Steyerl – denen aber der Absprung in die Bildende Kunst gelungen ist. Alle ihre Arbeiten verorten sich an der Schnittstelle von Praxis und Theorie. Bitomsky prägte mit seinen „Deutschlandbildern“ ab 1983 außerdem eine spezielle Form der Medienarchäologie, die aus dem brachliegenden Bilderfundus der frühen Bundesrepublik bis zurück in die NS-Zeit schöpfte.
Die Trilogie aus „Deutschlandbilder“, „Reichsautobahn“ (1986) und „Der VW Komplex“ (1989), allesamt Kompilationen von historischen Filmaufnahmen, fügt sich zu einer kritischen Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Aber auch der Bilderproduktion an sich, die das überlieferte Material gegen die ihm immanente Ideologie liest.
Analytiker und Connaisseur
Es wäre jedoch kurzsichtig, im Filmemacher Bitomsky nur den Analytiker zu sehen. Er ist immer auch ein Connaisseur des Kinos geblieben: Redakteur des einflussreichen Magazins „Filmkritik“, Autor des überaus lesenswerten Buchs „Die Röte des Rots von Technicolor“, Cassavetes- und Ford-Fan sowie Regisseur des besten marxistischen Slacker-Films der jungen Wilden: „Auf Biegen oder Brechen“ von 1975, der seinen historischen Materialismus auf das Genrekino umschlägt – mit dem späteren „Lindenstraße“- Cowboy Jo Bolling in einer ganz frühen Rolle.
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In Berlin prägt Bitomsky dann noch mal eine Generation von Filmemacher:innen, als er – nach einem Intermezzo am California Institute of the Arts – ab 2006 die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin leitet; jene Hochschule, an der er 40 Jahre zuvor selbst studiert hat.
Zwar muss er aus gesundheitlichen Gründen früh wieder zurücktreten, aber seine Studierenden erinnern sich bis heute an die Neugier und Offenheit ihres Direktors, der das Filmemachen und das Denken über den Film als einen offenen Prozess versteht. Das schönste Kompliment, das man Hartmut Bitomsky zu seinem 80. Geburtstag machen kann, ist wohl jenes, dass er im Kinobild nie nur den Sinn, sondern immer auch die Sinnlichkeit gesucht hat.