Fast wie ein Comeback : Kelela gibt die Souldiva auf dem Dancefloor

Sechs Jahre sind in der gegenwärtigen Popmusik, besonders mit einer Pandemie zwischendurch und einem Übermaß an Freizeit zur künstlerischen Entfaltung, ein sehr langer Zeitraum. So lange liegt das Debütalbum „Take Me Apart“ von Kelela bereits zurück; ihr Mixtape „Aquaphoria“ ist zwei Jahre jünger.

Andere Künstlerinnen haben ihre kreative Energie mit „Lockdown“-Alben gebündelt, Kelela Mizanekristos verbrachte dagegen viel Zeit mit Büchern: „Reader on Misogynoir“ von Kandis Williams, „The Will to Change“ von Bell Hooks und Safiya Umoja Nobles „Algorithms of Oppression“.

Auf „Take Me Apart“ hatte Kelela eine neue musikalische Sprache für ihre emotionalen Bedürfnisse und sexuellen Begehren zwischen Neo-Soul und britischen Clubsounds gefunden. Die Pandemie zeigte aber, dass auch die Körper schwarzer Frauen und Männer unter kritischer Beobachtung stehen. Der Tod von George Floyd, erzählte sie in Interviews, sei für sie ein einschneidendes Erlebnis gewesen.

Zwischen House und UK Grime

In den vergangenen Wochen befand sich Kelela mit ihrem zweiten Album „Raven“ gewissermaßen schon auf einer Comeback-Tour, die sie am Dienstag auch nach Berlin geführt hat. Ihre langen Braids sind inzwischen einer blonden Kurzhaarfrisur gewichen, aber nicht nur äußerlich hat sich die Sängerin verändert. Die vergangenen Jahre, erzählt sie zwischen zwei Songs im nahezu ausverkauften Huxley’s, seien für sie eine Art Charaktertest gewesen. Für was möchte ich als Künstlerin erinnert werden?

In der immer schnelllebigeren Popwelt können sechs Jahre Funkstille (Kelela war nie eine Künstlerin, die sich groß in den sozialen Medien mitteilt) trotz eines gefeierten Debüts leicht zur Entfremdung führen. Und darum bedankt sie sich in Berlin noch einmal für die Geduld ihrer Fans; sie verstehe das nicht nur als ein Vertrauen in ihre Musik, sondern auch in sie als Mensch. Doch damit an diesem Abend keine Missverständnisse aufkommen: „Das hier ist eine Party – mit Live-Gesang!“

Das aktuelle Neunziger-Revival im Hip-Hop – das natürlich keine Idee von Drake und Beyoncé war – hat die 1983 in Washington geborene Kelela schon auf „Take Me Apart“ vorweggenommen. Ihr spezifisches Interesse an britischer Clubmusik zeigt sich auch in der Wahl gleichgesinnter Produzent:innen: von Jam City und Arca bis (auf „Raven“) dem in Berlin ansässigen Yo van Lenz und Nguzunguzu. Darum ist sie auf dem Londoner Elektronic-Label Warp bestens aufgehoben.

Doch anders als das eher enzyklopädische – und nicht minder großartige – Beyoncé-Album „Renaissance“ verlaufen die Grenzen von House zu Drum’n’Bass zu UK Grime und Dubstep in der Musik von Kelela organischer. Vor allem klingen ihre Referenzen gegenwärtig. „Manchmal bin wütend, manchmal sexy – und manchmal bin ich im Club“, kündigt sie einen Song an.

The bass in my body / I’m sinkin’, it’s so wide / Time is surreal / now I’m floating in outer space

Kelela in „Contact“

Das Spektrum zwischen „Contact“ und dem Titelsong „Raven“, den beiden Herzstücken des Konzerts, öffnet Kelelas Klangkosmos. „The bass in my body / I’m sinkin’, it’s so wide / Time is surreal / now I’m floating in outer space“, singt sie in „Contact“ über einen klassischen House-Beat, während ihre phänomenale Stimme in „Raven“ auf ausgewaschenen Synthesizer-Flächen dahinzugleiten scheint, zum Pulsschlag der Nacht.

Das mit der Party meint Kelela übrigens ernst. Von dem bassigen Ambientgewummer und dem achtsamen Wassergeplätscher auf „Raven“ – Wasser ist ein Motiv des Albums – bleiben live nur einige wohltemperierte Selbstermächtigungs-Botschaften. Auf der Bühne steht Kelela in Magenta und Nachtblau illuminiert wie eine Soul-Diva, die kurz mal den Dancefloor an sich gerissen hat. Gut, dass sie zurück ist.