Warum Antifaschisten eine Neonazi-Band gründeten
Das Bündnis „Laut gegen Nazis“ stört sich schon lange an der Untätigkeit der Musikplattform Spotify gegenüber rechtsextremen Klängen. Mit einer bisher einmaligen Aktion gelang es den Aktivisten nun, den Streamingdienst vorzuführen und deutlich zu machen, wie einfach es rechten Interpreten gemacht wird, ihre Werke auf der Plattform zu platzieren. Über Wochen kreierten die Antifaschisten eine angebliche Neonazi-Band mit dem ausgedachten Namen „Hetzjaeger“. Dazu wurden die beliebtesten Rechtsrock-Stücke und -Bands in der Bundesrepublik eindringlich untersucht und „wiederkehrende Charakteristika und Eigenheiten“ herausgearbeitet, erklärt Jörn Menge von „Laut gegen Nazis“.
Schließlich komponierte das Team die eigene Hörprobe „Kameraden“ und platzierte den Titel gezielt auf Streamingplattformen wie YouTube und Spotify. Innerhalb weniger Tage sahen über 45 000 Nutzer das Teaser-Video auf YouTube, durch gezielte Bewerbung und die Plattform-eigenen Algorithmen wurde der Song Fans anderer Rechtsrock-Bands empfohlen. Die Bewerbung und Reichweichte der falschen Naziband wurde so groß, dass selbst die auf Rechtsextremismus spezialisierte Amadeu Antonio Stiftung auf die neuen erfolgreiche rechtsextremen Musiker aufmerksam wurde und der Band einen eigenen Artikel widmete.
Bei der Premiere des kompletten Songs von „Hetzjaeger“, live auf Telegram gestreamt, wird dem rechten Publikum schließlich klar, dass sie in eine antifaschistische Falle getappt sind. In der zweiten Strophe des Liedes ändern sich die Farben im Musikvideo. Das düstere Grau im Hintergrund wechselt ins Bunte und in der Strophe heißt es: „Nazis raus, raus aus meiner Playlist“. Statt rechte Musik im Netz zu revolutionieren, sei die Band „Hetzjaeger“ angetreten, um das Problem zu beenden, schreibt „Laut gegen Nazis“ und spricht davon, dass die „Algorithmen zum Antifaschisten wurden“.
Meldungen werden sehr behäbig bearbeitet
„Heil dir, meine geliebte Heimat, Heil dir, mein geliebtes Land“, heißt es im Refrain eines der erfolgreichsten Lieder der Neonazi-Band „Übermensch“. Der Begriff „Übermensch“ stammt ursprünglich vom Philosophen Friedrich Nietzsche, die Nazis instrumentalisierten die Formulierung und drückten damit im Kontext des „Dritten Reichs“ die angebliche Überlegenheit der „deutschen Rasse“ aus. Der Song ist mit einem Klick auf Spotify für jeden und jede zu erreichen. Über 900 000 Aufrufe generiert die rechtsextreme Band für einige ihrer Songs über den schwedischen Streamingdienst.
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Auch mit anderen deutsche Bands und Sängern der Szene hat Spotify offenbar kein Problem. Der rechte Brandenburger Liedermacher Sascha Korn ist seit Jahren bei Spotify vertreten. Sein meistgeklickter Song: die erste Strophe des sogenannten Deutschlandliedes mit der Zeile „Deutschland, Deutschland über alles, über alles in der Welt“.
Seit Jahren weisen antifaschistische Gruppierungen und Rechtsextremismus-Experten Spotify immer wieder darauf hin, dass Verfassungsfeinde auf der Plattform ein leichtes Spiel haben. Inhalte könnten nur nach expliziten Verstößen gegen die Richtlinien des Streaminganbieters entfernt werden, nicht jedoch wegen der politischen Gesinnung der Menschen, die als Urheber der Musik fungieren und ihre Alben hochladen, argumentiert der Konzern. Doch selbst Meldungen über antisemitische oder rassistische Inhalte von Textzeilen werden, wenn überhaupt nur sehr behäbig bearbeitet.
Nach einem öffentlichen Shitstorm verbannte Spotify im Sommer 2020 den rechtsextremen Rapper Chris Ares von der Plattform. Trotzdem gelang es ehemaligen Mitstreitern von Ares wie dem Bautzener Rapper „Primus NDS“, ihre neuen Alben beim Streamingdienst zu platzieren. Bereits Mitte Dezember fragte der Tagesspiegel bei der Pressestelle des schwedischen Unternehmens an, inwiefern sich die Musik vom rechten „Primus NDS“ und dem rechten „Chris Ares“ unterschied. Eine Antwort blieb Spotify schuldig und löschte stattdessen in aller Stille das Album des Rappers.