Es steht schlecht um traditionelle Sportarten wie Gewichtheben
Der Auftritt von Shi Zhiyong am Mittwoch in Tokio war gleichsam beängstigend wie beeindruckend. Der Chinese hatte soeben mal fast das Dreifache seines Körpergewichts beim Gewichtheben nach oben gestoßen. In der Klasse bis 73 Kilogramm schaffte er 198 Kilogramm. Nach seinem Weltrekord brüllte er animalisch: „Sonst noch jemand? Sonst noch jemand?“
Für kritische Geister der Sportart war der Auftritt ein weiterer Beleg dafür, dass es beim Gewichtheben nicht mit rechten Dingen zugeht. Dass solche Leistungen kaum mit legalen Methoden zustandekommen können. Für Freunde der Sportart wird der Weltrekord des Chinesen jetzt schon der Höhepunkt dieser Spiele in Tokio sein.
Zwischen diesen beiden Welten, zwischen Zweiflern und Skeptikern, bewegt sich die olympische Disziplin. Und es ist gut möglich, dass die Tage des Gewichthebens und vielleicht auch anderer traditioneller Sportarten wie Ringen oder Judo bald gezählt sind. Das Internationale Komitee (IOC) setzt inzwischen mehr auf jüngere Sportarten wie Surfen oder Skateboard, die in diesen Tagen von Tokio zum ersten Mal im Programm sind.
Am ärgsten auf der Kippe steht in jedem Fall das Gewichtheben. Das weiß auch Lars Betker. Der 49-Jährige war früher selbst ein erfolgreicher Gewichtheber, er war Teilnehmer bei den Olympischen Spielen im Jahr 2000 in Sydney. Inzwischen arbeitet er als Trainer beim Brandenburgischen Gewichtheber- und Fitnessverband. „Klar, das Gewichtheben ist eine dopingverseuchte Sportart“, sagt er. „Aber es ist nicht die einzige. In einigen anderen Sportarten ist das ähnlich.“
Zahl der aktiven Gewichtheber und -heberinnen nimmt ab
Wie Betker sehen das viele in der Szene. Bei den Gewichthebern herrscht ein bisschen das Gefühl, dass das Doping vom IOC als Vorwand genommen wird, um die in Funktionärskreisen mitunter unliebsame Sportart aus dem olympischen Programm zu nehmen.
Der internationale Gewichtheberverband hatte erst vor wenigen Wochen versucht, dem IOC entgegenzukommen und sich neue Leitlinien zu verpassen.
Diese sollten den Kampf gegen Doping stärker berücksichtigen als bisher. Doch viele Länder stimmten gegen die neue Konstitution, vor allem Nationen aus den ehemaligen Sowjet-Republiken sowie aus Lateinamerika.
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Es steht daher schlechter denn je um den olympischen Fortbestand des Gewichthebens. Die Zahl der aktiven Gewichtheberinnen und Gewichtheber bei Olympia nimmt ohnehin schon seit Jahren rapide ab. Bei den Spielen in Rio de Janeiro waren es 260, in Tokio sind es 196 und in drei Jahren in Paris sind nur noch 120 eingeplant. Was dann kommt, steht in den Sternen.
Lars Betker ärgert das. „Das Gewichtheben macht im Kampf gegen Doping schon Forschritte“, sagt er. Es würde sehr viel getestet. Und überhaupt: Gewichtheben habe einen großen Reiz. „Es geht darum, immer stärker zu werden und den inneren Schweinehund zu besiegen“, erklärt er. „Wer es einmal probiert, der bleibt dabei.“ Tatsächlich erlebte die Sportart in den vergangenen Jahren eine kleine Renaissance, auch hierzulande. Das hing unmittelbar mit dem Aufschwung von Crossfit-Workout zusammen, bei dem häufig an der Langhantel trainiert wird. Hinzu kommt, dass sich immer mehr Frauen für das Gewichtheben begeistern können. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das IOC solch eine etablierte Sportart ausschließen wird.“
Reformen können viel bewirken
Das dachten die Ringerinnen und Ringer allerdings auch sehr lange. Im Jahr 2013 aber wurde es aus dem olympischen Programm genommen. Die Sportart schien dem IOC ähnlich wie das Gewichtheben nicht mehr attraktiv genug. Ein weiteres sportliches Auslaufmodell. Aber noch im selben Jahr setzte ein Umdenken bei den Funktionären ein und plötzlich war Ringen wieder olympisch.
Der Druck auf das IOC war zu groß geworden. In den USA war zuvor eine Petition gegen den Olympiaausschluss der Sportart gestartet worden. Eine Million Menschen unterschrieben. Sogar Feinde verbündeten sich für den gemeinsamen Zweck. Es kam zu einem Freundschaftskampf zwischen den USA und dem Iran, als Zeichen für die Bedeutung des Ringens. Am Ende hatte der Protest gegen den IOC-Vorstoß Erfolg.
Auch Jörg Richter freut sich, dass dieses Jahr in Tokio die Wettkämpfe im Ringen auf dem Programm stehen. Am Sonntag geht es los. Der 58-Jährige gibt seit vier Jahren das „Ringsport-Magazin“ heraus. Als Ringer war er früher selbst in der DDR-Oberliga aktiv. „Traditionelle Sportarten wie Ringen, Gewichtheben oder auch Judo sollten unbedingt olympischen bleiben“, sagt er. Die Sportart Ringen habe gezeigt, dass wenige Reformen vieles bewirken würden.
So wurde das Regelwerk entwirrt, auch für Laien verständlicher gemacht. Zudem können inzwischen die Frauen wie die Männer in sechs Gewichtsklassen gegeneinander antreten. Von großen Korruptionsskandalen wie im Gewichtheben sind die Ringerinnen und Ringer ebenfalls verschont geblieben. „Die Trendsportarten sind doch in zehn Jahren schon wieder verschwunden“, prophezeit Richter. „Das Ringen aber bestimmt nicht.“