Ein Porträt zum 100. Geburtstag von Kamalesh Maitra: Ein indischer Musiker in Berlin
Musik, Migration und Berliner Stadtgeschichte verbinden sich im außergewöhnlichen Leben des indischen Musikers, Lehrers und Komponisten Kamalesh Maitra. Der Meister der Tabla Tarang – nach Raga-Skalen gestimmter Trommeln – prägte fast 30 Jahre Berlins Musikleben mit. Am 28. April wäre er 100 Jahre alt geworden.
Schon als Kind sagte der im bengalischen Bezirk Tangail geborene Maitra, er werde einmal unter Europäern leben – eine damals abenteuerliche Behauptung in seinem Heimatdorf im heutigen Bangladesch. Und tatsächlich lag sein Lebensmittelpunkt dann ab 1977 an der Spree.
Walter Bachauer, beim Rias damals zuständig für außereuropäische Musik, hatte ihn ein Jahr zuvor zum Meta-Musik-Festival nach West-Berlin eingeladen. Die Stadt mit ihrer Vielfalt an Bewohnern, Szenen und Auftrittsmöglichkeiten faszinierte ihn so sehr, dass er blieb. In Berlin wolle er sterben, sagte Maitra, als er im Jahr 2000 den Musica-Vitale-Preis für sein Lebenswerk erhielt, fünf Jahre vor seinem Tod.
Für Maitra, der lange Jahre an der Musikschule Wilmersdorf lehrte, bedeutete Musik das Zusammenführen von Menschen und Klängen. „Er hat erzählt mit Melodien und Noten“, erinnert sich der Flötist und Weggefährte Mila Morgenstern. Berührungsängste kannte Maitra nicht. Für den Drummer der Punk-Band „Slime“ konnte er sich ebenso begeistern wie für die wummernden Bässe der Loveparade. Mit Ravi Shankar und George Harrison tourte Maitra 1974 durch die USA und Europa; Falco holte ihn zu Studioaufnahmen und Dirigent Zubin Mehta bewunderte sein Spiel.
Er wusste, dass er etwas zu geben hatte
Auch die Mauern in der Stadt und in den Köpfen schreckten Maitra nicht ab. Er reiste bereitwillig nach Ost-Berlin und unterrichtete eine Gruppe von DDR-Bürgern in der Sitar. Ebenso besuchte er einen Häftling in Tegel, der ihn im Radio gehört hatte und kennenlernen wollte. In den Neunzigern von Skinheads angeherrscht, wann er wieder „zurückgehe“, antwortete Maitra: „Ich bleibe so lange, wie ihr mich braucht.“ Mit so viel selbstbewusster Schlagfertigkeit hatten sie nicht gerechnet und zogen verdutzt ab.
Auf seinem Lieblingsfoto streckt Maitra, umringt von seinen Trommeln, dem Betrachter die leicht geöffneten Hände entgegen – eine traditionelle Geste des Anbietens, erklärt Laura Patchen. Die gebürtige New Yorkerin verschlug es 1977 nach West-Berlin, wo sie Maitras Schülerin wurde und die Tradition des Tabla-Spiels fortführt. „Er wusste, dass er etwas zu geben hatte – durch Musik und durch sein Wesen“, so Patchen. Das „Nara“, ein gelb-rotes Armband, das die lebenslange Lehrer-Schüler-Beziehung anzeigt, trägt sie bis heute.
Im 1980 gegründeten „Ragatala Ensemble“ nahm Maitras Vorstellung von Musik als kultureller Klangbrücke Gestalt an. Saxofon, Violoncello oder Trompete improvisieren hier gemeinsam mit traditionellen indischen Instrumenten. Sein 1979 gegründetes Ensemble „Drums of India“ besteht unter Laura Patchens Leitung als „Tabla Ensemble Kamalesh Maitra“ weiterhin. Wer das Glück hat, Maitras meist vergriffene Aufnahmen hören zu können, erlebt transparente, pulsierende Klänge. Man versteht Gottfried Eberle, der in einer Konzertkritik 1976 im Tagesspiegel von einem „fließenden Bereich“ schrieb, „wo Rhythmus in Melodie, ja geradezu in Mehrstimmigkeit und Harmonik umschlägt“.
Dass er nie die Bekanntheit seines Landsmanns Ravi Shankar erlangte, lag auch an Maitras Bescheidenheit. Das Zitat des Nobelpreisträgers Rabindranath Tagore könnte auch für ihn gelten: „Mein Teil auf diesem Fest war, mein Instrument zu spielen, ich habe alles, was ich konnte, getan.“ Am 27. April wird Laura Patchen Maitras Erbe in einem Konzert weitergeben. So ist sein 100. Geburtstag nicht nur Rückschau, sondern Fortsetzung kultureller Tradition in Berlin.