Mit Winnetou in Kroatien: Wo Krieg nicht nur gespielt wurde

In den frühen Jahren der Jugend, wenn man zu den Babyboomern zählt, war Kroatien die Landschaft der Träume, der epischen Weite und des Abenteuers, ein mythischer Ort. Und wie es Mythen so an sich haben, hieß eigentlich alles ganz anders. Kroatien gehörte zu Jugoslawien, war lange noch nicht ein unabhängiger Staat, und Jugoslawien war – Amerika. Der Westen. Der Wilde.

Dort wurden ab den frühen Sechzigern die Karl-May-Filme in westdeutscher Produktion von Rialto Film gedreht. Die DDR hatte bald ihre eigene Indianerwelt, wenn man so sagen darf. Auch sie tummelte sich vor jugoslawisch-kroatischer Kulisse: an „Originalschauplätzen“, wie die DEFA sich rühmte. Von cultural appropriation wusste man nichts. Bei der Rialto Film war der Häuptling der Apachen ein Franzose, und sein aus Deutschland stammenden Blutsbruder ein US-Amerikaner, während der Ost-Häuptling aus Serbien gebürtig war.

Touristen in Winnetous Schlucht

Tipis von gestern, tempi passati? Gewiss nicht. Im Karl-May-Verlag ist jetzt eine Prachtausgabe des Drehbuchs von „Winnetou I“ erschienen, Harald Reinl führte damals Regie. Und das ZDF zeigt an den Ostertagen tapfer alle drei Winnetou-Teile. Winnetou feiert mal wieder Auferstehung.

Winnetou war einst ein deutsches Nationalheiligtum. Inzwischen liegen seine Jagdgründe in den kroatischen Nationalparks Krka und der Plitvicer Seen. Und immer noch pilgern Fans dorthin, besuchen Kroatien-Touristen die teils schwer zugänglichen Drehorte vom „Schatz im Silbersee“ oder Winnetous Schlucht.

Wenn man über die breit ausgebaute Autobahn von Split nach Zagreb fährt, geistern die alten Bilder im Kopf herum, reiten sie wieder über die kahlen Ebenen mit den zackigen Bergen im Hintergrund. Aber hier wurde nicht nur Krieg gespielt. Hier herrschte blutiger Ernst. Das fiktive Karl-May-Land war Kriegsgebiet im zerfallenden Jugoslawien, die Plitvicer Seen liegen an der Grenze zu Bosnien und Herzegowina. Es ist bizarr, wie der Jugoslawienkrieg mit seinen Grausamkeiten bei uns in Vergessenheit geraten ist, gerade so, als habe man sich nie wirklich darum gekümmert.

Karl May ist aus der Zeit gefallen mit all seiner Fantasie-Folklore. Und wenn er sich auch mit fremden Federn schmückte: Er war Pazifist. Er wollte Verständigung. Gewalt war nicht sein erstes und nicht sein letztes Wort. Und die Filme unterscheiden sich doch auch sehr von seinen Büchern.