Ein kalkuliertes Risiko: Hertha BSC tauscht mitten in der Saison den Torhüter

Sich an den Besten zu orientieren, ist im Sinne der Erfolgsmaximierung womöglich nicht die schlechteste Idee. Und zu den Besten – zumindest in der Zweiten Liga – zählt aktuell der 1. FC Köln. Er ist derzeit hinter dem Hamburger SV, Tabellenzweiter, und das, obwohl die Mannschaft nach zehn Spieltagen dieser Saison nur auf Platz zwölf lag. So wie im Moment Hertha BSC.

Der Aufschwung der Kölner wird unter anderem darauf zurückgeführt worden, dass Trainer Gerhard Struber im Oktober einen Wechsel auf der Torhüterposition vorgenommen hat. Er ersetzte den jungen, nachweislich überaus talentierten Jonas Urbig durch den erfahrenen Marvin Schwäbe.

Diesem Beispiel ist nun auch Cristian Fiél, der Trainer von Hertha BSC, gefolgt. Gegen den HSV am Samstagabend ließ er anstelle des jungen, nachweislich überaus talentierten Tjark Ernst den erfahrenen Marius Gersbeck spielen.

Die Parallelen sind bemerkenswert. Ernst und Urbig sind beide 21 Jahre alt, beide spielen für die deutsche U-21-Nationalmannschaft, und beide zählen zweifellos zu den interessantesten Torhütern ihrer Generation. Urbig steht sogar unmittelbar vor einem Wechsel zum FC Bayern München, weil ihm dort zugetraut wird, mittel- bis langfristig die Nachfolge von Manuel Neuer anzutreten.

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Spiele hat Marius Gersbeck seit seiner Rückkehr für Hertha bestritten

Auch Schwäbe und Gersbeck sind gleich alt (29 Jahre). Sie mögen nie so talentiert gewesen sein wie ihre beiden jungen Kollegen, aber sie bringen etwas mit, was sowohl Urbig als auch Ernst zuletzt ein bisschen abgegangen ist: Solidität und Verlässlichkeit.

Da beide Torhüter fit sind und ich gespielt habe, hoffe ich natürlich, auch weiterhin im Tor zu stehen.

Herthas Torhüter Marius Gersbeck über die neue Situation bei Hertha BSC

Gersbeck hatte schon vor einer Woche, bei Herthas 2:1-Sieg in Paderborn, zwischen den Pfosten gestanden. Aber da fehlte Ernst wegen muskulärer Probleme. Am Samstag war der bisherige Stammtorwart des Berliner Fußball-Zweitligisten wieder fit – und saß trotzdem nur auf der Bank, obwohl Gersbeck unter der Woche an einem Infekt gelitten hatte und erst am Tag vor dem Spiel wieder beschwerdefrei war.

Fiél bemühte sich, seine Entscheidung für Gersbeck möglichst nüchtern zu begründen. „Er hat letzte Woche gespielt, hat’s für mich ordentlich gemacht. Deshalb habe ich ihm heute die Möglichkeit gegeben, wieder zu spielen“, sagte Herthas Trainer. Ob es bei dieser Rangfolge dauerhaft bleiben wird, „darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht“.

Mitten in der Saison den Torhüter auszutauschen, noch dazu in einer Saison, die ohnehin nicht wunschgemäß verläuft, das könnte man leicht für ein unnötiges Risiko halten. Bei Hertha aber scheint dieses Risiko einigermaßen kalkulierbar zu sein. Ernst hatte zuletzt einige Schwächen in seinem Spiel. Der Wechsel ist also begründbar.

An der Niederlage gegen den HSV trug Gersbeck keine Schuld

„Wir haben zwei gute Torhüter, zwei sehr gute Torhüter“, sagte Herthas Kapitän Toni Leistner. Gersbeck, so berichtete er, habe eine extrem gute Vorbereitung absolviert. „Deswegen hat er sich das wahrscheinlich auch verdient. Vielleicht war die kleine Verletzung von Tjark der letzte ausschlaggebende Punkt.“

Torhüter gelten unter den Fußballern aus nachvollziehbaren Gründen als besondere Spezies. Sie stehen im Ruf, ein wenig eigen zu sein. Und vielleicht liegt es auch daran, dass auf dieser Position, anders als bei Feldspielern, nicht wild hin- und hergewechselt wird. Deshalb liegt Marius Gersbeck vermutlich nicht falsch, wenn er sagt: „Da beide Torhüter fit sind und ich gespielt habe, hoffe ich natürlich, auch weiterhin im Tor zu stehen.“

Trotz der 2:3-Niederlage gegen den Hamburger SV hatte er sich nichts zuschulden kommen lassen. Sein Vordermann Toni Leistner bescheinigte ihm, dass er bei den drei Gegentoren „nicht mal einen Hauch einer Chance gehabt“ habe.

Viele weitere Gelegenheiten, sich auszuzeichnen, bekam Gersbeck nicht. Einmal parierte er einen Schuss des früheren Herthaners Marco Richter. „Marius ist ja ein erfahrener Hund“, sagte Leistner. Es mache „extrem viel Spaß, mit ihm zu spielen“.

Als Gersbeck im Sommer 2023 für eine Ablöse von 300.000 Euro vom Karlsruher SC zu Hertha BSC zurückkehrte, tat er das mit der Aussicht, Stammkeeper bei seinem Heimatverein zu werden. Diese Chance aber hat er sich selbst zunichtegemacht. Nachdem er im Juli 2023, im Trainingslager in Österreich, gewalttätig geworden war, stand sogar sein Rauswurf und damit das mögliche Ende seiner Karriere als Profifußballer im Raum.

Dass Gersbeck bleiben durfte, hatte er vor allem Herthas damaligem Präsidenten Kay Bernstein zu verdanken, der sich vehement für ihn eingesetzt hat. Insofern war es mehr als nur eine Fußnote, dass der Torhüter nun ausgerechnet in dem Spiel zu Herthas fester Nummer eins geworden sein könnte, in dem der Klub an seinen vor einem Jahr verstorbenen Präsidenten erinnerte.

Die Spieler trugen zu Bernsteins Ehren ein Sondertrikot, und in der Ostkurve widmeten die Ultras ihrem früheren Vorsänger eine imposante Choreografie. Gersbeck hat früher selbst in der Kurve gestanden. Er ist gewissermaßen ein Ultra mit Torwarthandschuhen. Entsprechend berührt zeigte er sich von seiner Beförderung. „Für mich bedeutet es sehr, sehr viel“, sagte er. „Das ist das, wovon ich immer geträumt habe.“