Documenta immer stärker in der Kritik

Die Weigerung des neuen Interims-Geschäftsführers der Documenta, Alexander Farenholtz, die 1500 Werke der in der Kritik stehenden Ausstellung genauer zu prüfen, stößt in der Kulturszene und in der Politik auf Unverständnis. Erst vergangene Woche wurde der Fund einer weiteren Arbeit, die mit antisemitischen Stereotypen spielt, publik. Und das, nachdem die Documenta auf Hinweis einer Besucherin diese bereits drei Wochen zuvor – noch unter der Leitung von Farenholtz’ inzwischen abgesetzter Vorgängerin Sabine Schormann – von einem internen Gremium geprüft und sowohl für rechtlich unbedenklich als auch für zwar „israel-kritisch“, aber nicht antisemitisch befunden hatte.

Nun wird auch die Kritik am Interimsleiter schärfer. Bereits am Freitag hatte der Vorstand der Jüdischen Gemeinde Frankfurt Farenholtz vorgeworfen, Antisemitismus zu verharmlosen. Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, Christoph Heubner, sagte in Berlin, dass die Documenta „von Ideologen gekapert“ worden sei, denen es vor allem darum gehe, die Existenz des Staates Israel zu delegitimieren. Die Verantwortlichen zeigten einen „fortgesetzten Unwillen“, sich mit „antisemitischen Entgleisungen innerhalb der Ausstellung“ auseinanderzusetzen. Ähnlich äußerte sich auch der hessische Antisemitismusbeauftragte Uwe Becker.

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Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG) forderte den hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU) zum Handeln auf. DIG-Präsident Volker Beck (Grüne) schrieb laut „Frankfurter Rundschau“ in einem Brief an Rhein, die Documenta sei zu einer „Plattform für Propaganda“ verkommen. Die Ausstellung leiste der Normalisierung von Antisemitismus in der deutschen Öffentlichkeit Vorschub. „Die Documenta 15 spuckt der bundesdeutschen Erinnerungskultur ins Gesicht“, so Beck weiter. Er fordert Rhein dazu auf, alle Zahlungen des Landes Hessen für die Documenta ab sofort an die Bedingung zu knüpfen, dass dort keine antisemitischen Bilder mehr gezeigt würden.

Verweis auf die Unabhängigkeit der künstlerischen Leitung

Im Tagesspiegel-Interview hatte der Geschäftsführer Farenholtz am Samstag erklärt, dass man die kritisierten Zeichnungen des syrischen Künstlers Burhan Karkoutly nicht ohne den historischen Kontext – den Konflikt der Zivilbevölkerung mit dem Militär in den 1980er Jahren – bewerten dürfe. An eine inhaltliche Prüfung der gesamten Ausstellung denke man weiterhin nicht, da man die Unabhängigkeit der künstlerischen Leitung der Documenta 15, des indonesischen Künstlerkollektivs Ruangrupa, nicht einschränken wolle. Forderungen nach einem Abbruch der Ausstellung weist er weiterhin zurück.

Indessen hat sich auch der Pianist Igor Levit in der aktuellen Ausgabe des „Spiegel“ zu Wort gemeldet und Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grünen) gegen Kritik verteidigt. „Dass einige die Documenta benutzen, um ihr eine unklare Haltung beim Thema Antisemitismus zu unterstellen, finde ich ekelhaft“, so Levit. Als jüdischen Bürger mache ihn diese Geschichte fassungslos. Aber Fehler seien auf allen Seiten passiert. Die Kulturstiftung des Bundes steuert 3,5 Millionen Euro zum Documenta-Gesamtbudget von 42,2 Millionen Euro bei. Allerdings hat sich der Bund bereits 2018 aus dem Aufsichtsrat zurückgezogen. Tsp (mit dpa)