Autopanne mit Thelma und Louise

Sie ist die Königin der Miesepetrigkeit, maulfaul und mürrisch, erst recht, als ihr auch noch die Antidepressiva ausgehen. Die tiefe, knarzige Stimme von Birgit Minichmayr tut ihr übriges, ihre Lakonie hat es in sich. „Warum warst du in Rom?“, will ihre beste Freundin Martha (Alexandra Maria Lara) wissen. „Ich dachte, es wäre hilfreich, religiös zu werden“, meint Betty, von Beruf Schriftstellerin. Immerhin ist ihr in den Kirchen der Heiligen Stadt aufgefallen, dass dort lauter muskelbepackte Christusfiguren an den Kreuzen hängen. Geradezu sexy, ein Stimmungsaufheller.

Martha bittet Betty, ihren Urlaub abzubrechen, denn sie hat ein Problem. Ihr krebskranker Vater (Joseph Bierbichler) möchte von ihr in die Schweiz kutschiert werden, wo er sich mittels Sterbehilfe aus dem Leben verabschieden will. Dummerweise ist Martha seit fünf Jahren nicht mehr Auto gefahren. Also sitzt bald Betty am Steuer, als sich das Trio im klapprigen Golf, Baujahr 96, vom hässlichen Dortmund aus Richtung Süden aufmacht. Röchelanfälle mit Blut im Taschentuch, Tankstellen-Wurst für den kleinen Hunger zwischendurch, ein Baustellen-Seeblickhotel ohne Seeblick als Nachtquartier – es ist kein Spaß.

Beginn eines Roadmovies: Regie bei der Adaption des gleichnamigen Bestsellers von Lucy Fricke führt Nana Neul („Mein Freund aus Faro“), das Drehbuch schrieben die beiden gemeinsam. Frauen in der Midlifekrise, abwesende Väter, schwindender Lebensmut, bis die Lebensgeister wieder erwachen, darum geht es. Während Martha damit hadert, dass ihr Vater nach 35 lausigen Jahren plötzlich doch etwas von ihr will – „erst soll seine Tochter seinen Abgang finanzieren, dann soll sie ihn auch noch hinfahren!“ –, wollte Betty auf ihrem Italientrip eigentlich das Grab ihres angeblich verstorbenen, schmerzlich vermissten Stiefvaters Ernesto aufspüren. Der hatte sich von einem Tag auf den anderen aus dem Staub gemacht, als sie noch ein Kind war.

Wie im Buch wird reichlich geredet (wobei Kurts Logorrhoe zum Running Gag taugt), auch hält die vermeintliche Reise Richtung Tod zahlreiche Überraschungen bereit. Keineswegs nur die, dass der Vater getrickst hat: Er will gar nicht in die Schweiz, sondern zu seiner Jugendliebe nach Stresa. Damit nicht genug, die Route führt vom Bodensee – über den Lago Maggiore, Genua, Olevano Romano, eine skurrile finale Autopanne sowie zwischenzeitliche Trennungen und Wiederbegegnungen – bis auf die ägäische Insel Amorgos, wo Betty schließlich sogar ihren doch nur lebensmüden Vater aufspürt. Am Ende finden alle so etwas wie ihren Frieden.

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Misanthropie trifft auf chronischen Missmut

Ob Lebensschmerz oder vergebliche Sehnsüchte: Bevor die Komödie am Drama entlangschrammt und Tiefe gewinnt, folgt zuverlässig die nächste kuriose Wendung. Das Versagen der Väter, die Verletztheit der Töchter, Entfremdung der Generationen, Einsamkeit, Freundschaft, die großen Sujets bleiben in mildes Licht getaucht. Zum orthodoxen Osterfest auf Amorgos ergießt sich ein hübsches Feuerwerk über den Nachthimmel.

Wird das jetzt „Thelma & Louise?“, fragt Betty einmal in Anspielung auf Ridley Scotts Roadmovie-Klassiker von 1991, als Martha sich doch noch ans Steuer traut und die Freundinnen bei zunehmend heiterer Stimmung und ohne Dad auf der Rückbank „Felicità“ schmettern. Thelma und Louise waren jung und unterdrückt, kontert Martha, wir sind nicht mal unterdrückt. Oder „Tschick“? Das waren Jungs, sie seien doch Frauen in den Wechseljahren …

(In den Kinos Cinemaxx, Kulturbrauerei und UCI Mercedes-Platz)

Bei allem Witz, aller Kurzweil bleibt „Töchter“ in der Tat in den Konventionen des Unterhaltungskinos stecken. Visuelle Spielereien wie die zum Kopfschmuck umfunktionierte blinkende Oster-Deko im Baustellenhotel sind die Ausnahme in diesem Postkarten-Bilderbogen mit Gute-Laune-Pop von der Berliner Songwriterin Masha Qrella, mediterranen Landschaften, malerischen Bergdörfern, flackernden Glühwürmchen und Griechenland-Idyll samt geweißelten Häusern und Bilderbuch-Taverne. Es liegt wohl auch an den Corona-Bedingungen des Drehs, dass die Seepromenaden und Strände sich als traumhaft menschenleer erweisen.

Das Raucher- und Grantler-Gespann Minichmayr/Bierbichler entschädigt jedoch für die Standardoptik. Kurts Misanthropie paart sich bestens mit Bettys chronischem Missmut, die beiden sorgen für reichlich Pointen. Ob Kurt das fehlende Seepanorama am Bodensee nun mit dem Hinweis quittiert, er gucke heute Abend sowieso lieber „Maischberger“ und später auf der Insel das Beatmungsgerät eines alten Griechen bewundert („Siemens!“); oder Betty sein literarisches Halbwissen über den Lago-Maggiore-Besucher Ernest Hemingway mit Ausführungen über dessen Hämorrhoiden korrigiert. Irgendwie schade, dass die schlechte Laune zunehmend der Versöhnlichkeit weicht.