Aliens und andere dunkle Kreaturen
Den Hauptpreis hat Mire Lee nicht abstauben können, die 100 000 Euro für den Future Generation Art Prize der Pinchuk Foundation gingen an den afghanischen Künstler Aziz Hazara. Aber eine Auszeichnung im Sektor „Special Prize“ gab es vor ein paar Tagen für Lees Skulpturen, die tatsächlich sehr speziell sind. Wer sich davon überzeugen will, der muss in Berlin bloß den Schinkel Pavillon aufsuchen: Dort schmatzen und würgen die raumfüllenden Arbeiten der aus Korea stammenden Künstlerin vor sich hin und produzieren dabei jede Menge schleimige, rosa Flüssigkeit.
Was bloß auf den ersten Blick stimmt. Tatsächlich handelt es sich bei den geradezu unheimlich organisch wirkenden Maschinen um geschlossene Systeme. Mire Lee hat sie zur Eröffnung der aktuellen Ausstellung, einer Werkschau über ihre mechanischen Arbeiten und das Oeuvre von HR Giger, mit Glyzerin gefüllt. Nun müssen Lees seltsame Schönheiten im Oktogon der Ausstellungshalle ebenso wie im Keller des zu DDR-Zeiten restaurierten Pavillons mit ihren Säften selbst haushalten.
Letztere laufen durch transparente PVC-Schläuche, tropfen von den amorphen Körpern, sammeln sich in Metallwannen und steigen schließlich wieder hoch. Das fasziniert, stößt im selben Moment aber auch ab – obwohl es bloß sichtbar macht, was sich sonst verborgen in jedem Organismus abspielt.
Gigers Werke für „Dune“ kamen nicht zum Einsatz
Mit der Auszeichnung der 1988 geborenen Künstlerin, die an der Universität in Seoul studierte und als Stipendiatin der Rijksakademie nach Amsterdam gekommen ist, stellt sich zugleich die Frage, was für eine Kunst zurzeit prämiert und damit international beachtet wird. Skulpturen wie ihre „The Liars“ oder „Carriers: Offsprings“ sind alles andere als Ausformungen einer konzeptuellen Idee, wie sie in der Vergangenheit stets tonangebend im Diskurs waren. Stattdessen setzen sie auf Emotionen, kreisen Ängste ein und zeichnen das Bild einer dystopischen Zukunft voller selbstbezogener Wesen, die ihre Umgebung bloß noch als Resonanzraum brauchen. Und vielleicht, um nach Beute zum Aussaugen zu schauen.
Damit schließt Lees Werk perfekt an das von Hans Rudolf Giger an. Weit mehr Besucher kennen die Gestalten und Entwürfe des Schweizer Künstlers, dessen „Harkonnen Enviroment“ von 1981 zu den zentralen Exponaten gehört. Das Set aus monumentalen Stühlen im gothic style und einem Tisch, an dem ein ganzer Konzernvorstand Platz nehmen könnte, war für Alejandro Jodorowskys Science- Fiction-Verfilmung „Dune“ mit Salvador Dalí und Mick Jagger geplant.Giger ersann dazu ein Interieur, das die Habgier und Brutalität der Filmfigur Baron Harkonnen adäquat symbolisierte. Letztlich verwirklichte Jodorwosky die Geschichte genau so wenig wie sein Nachfolger Ridley Scott, der sich ebenfalls mit dem Produzenten überwarf.
Dafür erkannte Ridely sofort, welchen visuellen Schatz er mit Gigers Design in den Händen hielt. Dessen Entwürfe extraterrestrischer Geschöpfe, die sich von den Besatzungen des Raumschiffs Nostromo ernähren, haben Scotts anschließende „Alien“-Serie überhaupt erst zu dem gemacht, was sie seit ihrer Premiere 1979 geworden ist: eine Ikone der Filmgeschichte.
[Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 32, Mi–Sa 11–19 Uhr. Bis 2. Januar, geschlossen vom 23.–26.12. und vom 31.12.-1.1.]
Giger war vor allem ein surrealistischer Künstler
Wie es sich für Schauspielerin Sigourney Weaver als Offizierin der Nostromo und ihre Kolleg:innen angefühlt haben muss, Gigers extrem aggressiven Monstren Xenomorph im All ausgeliefert zu sein, lässt sich im Schinkel Pavillon ebenfalls nachvollziehen. Mit einem Unterschied: Während in den Filmen die tödlichen Kreaturen fast immer im Halbdunkel agieren, glänzt die schwarze Oberfläche von „Necronom (Alien)“ in der Ausstellung unter klinisch hellen Neonröhren. Das ermöglicht nicht nur die komplette Sicht auf Kopf und Körper einer sphinxhaften Plastik, sondern auch einen analytischen Blick auf Gigers Ideen, der jenseits von Hollywood vor allem eines war – ein surrealistischer Künstler.
Zwar zelebriert der privat geführte Kunstverein neben der Staatsoper Unter den Linden den Grusel mit, wenn er die Werke tief in den Pavillon-Keller wabern lässt und dort auf die gefliesten, labyrinthischen Räume verteilt. Manche Arbeiten brauchen diese Intimität aber auch. Gigers Zeichnungen kopulierender Kreaturen sind dort ähnlich gut aufgehoben wie Lees Video „Faces“, in dem die Künstlerin das sogenannte Grope Porn in Koreas öffentlichen Bussen und Bahnen thematisiert: Junge Frauen werden heimlich gefilmt, Gesichter und Körper mit der Handykamera abgetastet. Diese Übergriffe von seiten männlicher Passagiere bleiben nahezu folgenlos.
Andere Akzente im Umgang mit dem Monströsen
Das Konträre beider Arbeiten stößt im Keller also gezielt aufeinander. Lee formt Gigers Lebenswerk nicht einfach mit zeitgemäßen Mitteln fort, sondern setzt zugleich andere Akzente im Umgang mit dem Monströsen: Ihre Kunst lässt sich als Abbild äußerer wie innerer Zustände lesen.
Während Giger, der 2014 starb, seine sexuellen Fantasien ungezügelt zu Papier bringen konnte und damit ganz in der vom virilen Blick dominierten Tradition der sechziger und siebziger Jahre steht, reflektiert die junge Künstlerin das Verhältnis von Mensch und Maschinen auf vielfältige Art. Was Giger hinter den Kulissen angetrieben haben mag, tritt bei Mire Lee offen zutage: Ängste, Triebe, Traumata. Sie alle kommen in den ebenso fiesen wie faszinierenden Körpern der Werkschau mindestens so sehr zum Ausdruck wie der oberflächliche Schauder.