Hertha BSC mit frischer Offensive

In periodisch wiederkehrenden Abständen müssen die Spieler von Hertha BSC ihr Wohnzimmer neu entdecken. Das liegt weniger daran, dass ihr Wohnzimmer, der Rasen im Berliner Olympiastadion, völlig umgestaltet worden wäre. Es liegt eher an den Umständen, die sich verändert haben.

Im Mai 2020 zum Beispiel verlegte Herthas damaliger Trainer Bruno Labbadia eine Trainingseinheit ins Olympiastadion. Die Saison in der Fußball-Bundesliga war wegen der Coronavirus-Pandemie mehrere Wochen unterbrochen gewesen und ihre vergleichsweise rasche Wiederaufnahme nur möglich, weil fortan unter Ausschluss der Öffentlichkeit gespielt wurde. Und genau diese ungewohnte Atmosphäre wollte Labbadia durch eine Trainingseinheit im menschenleeren Olympiastadion simulieren.

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Die Geisterspiele sind inzwischen zum Glück Geschichte. Rund 45.000 Zuschauer werden am Samstag (15.30 Uhr/Sky) erwartet, wenn Hertha BSC Europa-League-Sieger Eintracht Frankfurt empfängt.

Dass Labbadias Nach-Nach- Nach-Nachfolger Sandro Schwarz seine Mannschaft am Donnerstag im Olympiastadion ebenfalls trainieren ließ, diente also nicht der Gewöhnung an leere Ränge; es diente überhaupt erst einmal der Gewöhnung an den künftigen Arbeitsplatz.

Nicht nur Schwarz ist neu in Berlin, sondern auch ein Großteil der Mannschaft. Und nach all den Eindrücken aus der Vorbereitung und den ersten beiden Pflichtspielen wäre es keine Überraschung, wenn gegen die Eintracht gleich sechs Neuverpflichtungen dieses Sommers in der Startelf auftauchen würden – darunter fünf, die noch nie im Olympiastadion gespielt haben, nicht einmal für Herthas Gegner. Allein Jean-Paul Boetius ist schon mit Mainz im Olympiastadion aufgelaufen.

Ejuke und Kanga statt Maolida und Selke

Der Mittelfeldspieler, obwohl erst unter der Woche verpflichtet, hat durchaus Chancen, den vor einer Woche gegen Union fast unscheinbaren Kevin-Prince Boateng aus der Startelf zu verdrängen. Noch besser aber stehen die Chancen für die beiden Offensivspieler Chidera Ejuke und Wilfried Kanga, die wohl anstelle von Myziane Maolida und Davie Selke beginnen werden.

Beide haben ihre ersten Einsätze für Hertha schon hinter sich. Ejuke, Nigerianer und ablösefrei von ZSKA Moskau ausgeliehen, ist sowohl im Pokal in Braunschweig als auch im Derby beim 1. FC Union eingewechselt worden.

Kanga, Franzose mit ivorischen Wurzeln, kam in der Alten Försterei zu seinem Bundesligadebüt, als Schwarz nach dem 0:3 gleich drei frische Offensivkräfte aufs Feld schickte. In der Folge – mit Ejuke, Kanga und Stevan Jovetic – gab es bei Hertha zumindest im Ansatz so etwas wie Offensivspiel zu sehen.

„Ich bin sehr zufrieden mit ihm“, sagte Schwarz über Ejuke, der links auf dem Flügel spielte und bei seinen Kurzeinsätzen schon hat erkennen lassen, welche Fertigkeiten er mitbringt. Der 24-Jährige ist schnell, technisch gut und vor allem im Dribbling schwer zu bremsen.

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Das zeigen auch seine Zweikampfwerte: In Braunschweig gewann Ejuke 75 Prozent seiner direkten Duelle, bei Union sogar 80 Prozent. Starke Werte für einen Offensivspieler.

Obwohl Ejuke schon einige Wochen länger bei Hertha unter Vertrag steht, scheint Kanga aktuell einen Schritt weiter zu sein. Das liegt daran, dass er bei seinem vorherigen Verein Young Boys Bern die komplette Saisonvorbereitung mitgemacht hat, während Ejuke noch einiges nachzuholen hat.

„Chidi bekommt mit jeder Trainingseinheit mehr Power“, sagt Trainer Schwarz über Ejuke. Und die interne Konkurrenz ist mit Maolida, der zudem am Donnerstag wegen leichter muskulärer Probleme bei der Einheit im Olympiastadion fehlte, nicht gerade übermächtig. Über kurz oder lang dürfte der bis zum Saisonende ausgeliehene Nigerianer seinen Platz in der Startelf sicher haben.

Kanga ist ein Typ wie Jhon Cordoba

Das gilt mindestens genauso für Wilfried Kanga, für den Hertha rund 4,5 Millionen Euro an Bern gezahlt hat. „Willy steht schon voll im Saft“, sagt Schwarz. Beim Derby in der Alten Försterei gab Kanga mit seiner ersten Ballberührung gleich Herthas ersten Torschuss aus dem Spiel ab. Da war bereits eine Stunde vorüber. „Ich bin ein Spieler, der bis zum Schluss kämpft, nicht loslässt, nicht aufgibt“, sagt er.

Der Franzose, ebenfalls 24 Jahre alt, verfügt neben dem richtigen Geist auch über den passenden Körper, den man im Strafraum benötigt. Mit 90 Kilogramm, verteilt auf 1,89 Meter, erinnert Kanga von seiner Statur an Jhon Cordoba, der Hertha vor einem Jahr verlassen hat.

Ein Typ wie Cordoba fehlte den Berlinern seitdem im Angriff. Bis Kanga kam. „Er ist sehr gut in der Ballbehandlung, hat eine Geschwindigkeit, eine Robustheit“, sagt Trainer Schwarz über den früheren französischen U-21-Nationalspieler.

In Bern hat Kanga in der vergangenen Saison in 33 Ligaspielen nicht nur fünfzehn Tore erzielt, sondern auch fünf vorbereitet. Fredi Bobic, Herthas Sportgeschäftsführer, hat den Neuen aus der Schweiz „vom ersten Tag an total motiviert“ erlebt. Kanga habe sich sehr gut eingefunden. „Aber ein Stürmer braucht natürlich auch ein bisschen Gefühl für eine Mannschaft“, sagt Bobic, der früher selbst Stürmer war.

Die Mitspieler kennen dich noch nicht, wissen nicht, wie du dich bewegst, wo du die Bälle hinhaben willst, wie deine Laufwege sind. „Das ist ganz normal“, findet Herthas Sportchef. Und doch, sei es nur eine Frage der Zeit, bis Kanga „das komplett mit der Truppe auf dem Platz zeigen kann“.