Die Goldmedaille von Felix Streng wirkt wie ein Befreiungsschlag
Die letzten Jahre des Lebens von Felix Streng sind ein Paradebeispiel für das Hinaufklettern der Karriereleiter, das Wirklichkeit gewordene Über-sich-hinauswachsen, sowie den Mut, Neues zu wagen. Und damit zu gewinnen. Mit 16 Jahren zog er aus, nach Leverkusen ins Sportinternat. Ein Jahr später U-20-Doppelweltmeister, zwei Jahre später Europameister, drei Jahre später Weltmeister mit der Staffel, vier Jahre später paralympisches Staffelgold, 2018 dreimaliger Europameister.
Zur dritten deutschen Goldmedaille in Tokio und seinem ersten Paralympics-Sieg über 100 Meter sprintet Streng jetzt in 10,76 Sekunden. Nur um Bruchteile schneller war er in seinem Vorlauf, in dem er einen paralympischen Rekord aufstellte. Der Weltrekord jedoch gehört weiterhin Johannes Floors, der eine weitere deutsche Medaille in diesem nervenaufreibenden Finale gewann. Den dritten Platz teilt er sich gemeinsam mit dem Briten Jonnie Peacock, Sieger der Spiele 2012 und 2016. „Scheiße war das geil, man!“, lacht Floors zu Beginn des Interviews: „Sich mit dem Champion den dritten Platz zu teilen ist einfach ein geiles Gefühl.“
Die Minuten nach dem Zieleinlauf waren lang. Die Unsicherheit über eine Podiumsplatzierung hing in der Luft, selbst über die Kamerabilder war die Nervosität zu spüren: „Das war natürlich einer der spannendsten Momente, die ich je erlebt habe bis jetzt!“ Er, der sich vorgenommen hatte, „vorne mitzumischen“, wirkt mehr als zufrieden mit dem Resultat. Nur auf die 400 Meter habe er sich dieses Jahr konzentriert, die sollen „was Schnelles werden“. Schneller als in Dubai, seinen eigens aufgestellten Weltrekord möchte er am Freitag angreifen und da „setze mich vielleicht ein bisschen unter Druck“.
Streng verließ vor einem Jahr Leverkusen
Unter Druck gestanden hat Felix Streng wahrscheinlich auch. Im Oktober vergangenen Jahres wechselte der in Bolivien ohne rechten Unterschenkel geborene und in England und Bayern aufgewachsene Sprinter von Leverkusen in das Sprintteam Wetzlar. Er verließ nicht nur die Talentschmiede des deutschen Para-Sprints, sondern zog nach London, um sich einem internationalen Team anzuschließen. Doch die ersten Monate blieb er allein: Im Lockdown fanden die Einheiten virtuell statt, Streng filmte sich und analysierte diese abends in Videokonferenzen mit seinem Trainer Steve Fudge. „Es war ein hartes Jahr. Ich bin so happy, dass ich das jetzt aufgebaut habe, darüber wo ich bin und dass das alles aus meiner Energie herausentstanden ist.“
Nach all den „großen Entscheidungen“, die ihn in der letzten Zeit begleitet hatten, wirkt diese Goldmedaille wie ein Befreiungsschlag. Die Zusammenarbeit mit dem TSV Bayer 04 Leverkusen endete nicht nur positiv, Floors spricht von „verbrannter Erde, die Felix leider ein bisschen bei uns hinterlassen hat“. Zusammen die Erfolge feiern wollen die beiden Sprinter auf jeden Fall noch. Wahrscheinlich aber erst nach den Spielen, „der Fokus liegt darauf, die Beine ready zu machen“, denn für Floors und Streng sind die Paralympics noch nicht vorbei und am Ende ginge es einfach darum, so ein Rennen zu gewinnen.
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