Zeitenwende, Ampelende: Spahn, Kuhle und Salman Rushdie bei „Maischberger“
Es sollte dann doch nicht 22 Uhr 50 werden, sondern 23 Uhr 04, bevor Sandra Maischberger ihren Stargast Salman Rushdie präsentieren konnte, und es dauerte noch einmal fast eine geschlagene halbe Stunde, bis die Niederungen der deutschen Politik abgeschritten waren.
Zuvor hatten die ARD-Verantwortlichen sich jedoch genötigt gesehen, einen Brennpunkt zu Georgien vor Maischberger zu platzieren, nachdem das Parlament in Tiflis das höchst umstrittene, gegen alle NGOs in Georgien gerichtete Gesetz zu „ausländischer Einflussnahme“ beschlossen hatte und die Lage in dem Land zu eskalieren droht. Der aufschlussreichste Beitrag an diesem Abend, der einen besseren Sendeplatz verdient hätte, beispielsweise gleich nach der Tagesschau um 20 Uhr 15.
Rente mit 63 abschaffen?
Wer die Gepflogenheiten bei Maischberger nicht so genau kennt, durfte sich wundern: Erst bestellten die ARD Börsenexpertin Anja Kohl, Ex-“BILD“-Chef Kai Diekmann und Sonja Zekri von der „Süddeutschen“ das Debattenfeld und stritten manierlich über die Rentenpläne der Bundesregierung und die Wirtschaftslage in Deutschland, um sich im Anschluss anzusehen, wie sich die Vize-Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn von der CDU und Konstantin Kuhle von der FDP wahlweise annäherten und wieder abstießen, gipfelnd in Spahns schön einstudiertem Bonmot: „Zeitenwende, Wirtschaftswende, Haushaltswende, am besten wäre das Ampelende.“
„Unsere drängendstes Problem ist doch nicht die Rentenfrage, sondern die Voraussetzung für Renten- und Sozialpolitik ist wirtschaftliches Wachstum, und die Debatte über die Rente, über die Abschaffung der Rente mit 63 löst doch kein Wachstum aus“, so Spahn. „Wir waren doch in Deutschland schon mal viel weiter, wir haben doch schon über ein flexibles Renteneintrittsalter diskutiert, eine Krankenschwester muss doch nach 45 Jahren viel früher in Rente gehen können.“, so Kuhlke.
Danach die Schnellabfrage durch Maischberger: Cannabis-Legalisierung, Recht auf Geschlechtsbestimmung, Wiedereinführung der Wehrpflicht, AfD-Verbotsverfahren („löst das eigentliche Problem nicht“, so Spahn, „halte ich für falsch, weil wir unsere eigene Kraft als Demokraten massiv unterschätzen“, so Kuhlke), das autoritär regierte Ruanda als Drittland für Asylverfahren, einer der absurdesten Vorschläge, um die von Spahn immer wieder angeführte „irreguläre Migration“ in den Griff zu bekommen. Schließlich nochmal die AfD, dann wieder mit Kohl, Diekmann und Zekri
Dass der Schriftsteller Salman Rushdie, der vor knapp zwei Jahren bei einem Attentat in der Nähe von New York mit 15 Messerstichen lebensgefährlich verletzt worden war, in diese Talkshow und damit deutsche Debattenzusammenhänge geschleust wurde, ist natürlich nur der Tatsache zu verdanken, dass ihn sein Verlag zu einer Europa-Tour bewegen konnte.
Rushdie ist am Freitag im „Literarischen Quartett“
Am Wochenende war er in Turin auf der Buchmesse, wo er mit Roberto Saviano auf einem Podium saß, am Donnerstag tritt er in Berlin im Deutschen Theater auf, um sein Buch „Knife“ vorzustellen, und am Freitag ist er auch noch im Berliner Ensemble beim Literarischen Quartett zu Gast.
Es war ein einigermaßen, fast zu privates Gespräch, das Maischberger mit dem Schriftsteller über das Attentat, seine bleibenden Verletzungen und sein Verhältnis zu dem Attentäter kurz vor Mitternach zu führen begann, auch unter Einbeziehung von Rushdies Ehefrau, der Dichterin Rachel Eliza Griffith.
Bewundernswert einmal mehr, wie Salman Rushdie über all das spricht. Wie er sagt, der Attentäter habe „einen schlechten Job“ gemacht, er zugibt, dass er sich tagtäglich nicht daran gewöhnen könne, ein Auge verloren zu haben, er dann wieder humorvoll über die Stärke seiner Zehen spricht, mit denen er als erstes wieder mit seiner Frau kommunziert habe.
Im Grunde erzählt Rushdie das, was er in „Knife“ geschrieben hat, auch dass er vor dem Gefängnis getanzt hat, in dem der Attentäter einsitzt. Es ist sein ganz persönlicher Überlebenssieg. Dass er wieder als Schriftsteller betrachtet werden will, seine Bücher gelesen werden sollen, sagt er am Ende noch. Er wolle nicht immer der Schriftsteller sein, der von einem Fanatiker angegriffen worden ist, schließlich habe er 22 größtenteils fiktive Bücher geschrieben.
Zumindest im Moment, da er mit „Knife“ durch die Lande tourt, dürfte das ein frommer Wunsch bleiben.