Frau, aber keine Mutter: Neuköllner Oper inszeniert die „Frau ohne Schatten“
Was bleibt von einer Frau, die keine Mutter ist? Die Neuköllner Oper bringt Richard Strauss’ Antwort auf diese Frage, „Die Frau ohne Schatten“ aus dem Jahr 1919, in neuem Anstrich auf die Bühne: Am Freitag hat die Inszenierung von Ulrike Schwab (Regie) und Tobias Schwencke (Musikalische Leitung) Premiere gefeiert.
Richard Strauss ergründet in „Die Frau ohne Schatten“ (1919) die Bedeutung von Mutterschaft für das Menschsein. Hugo von Hofmannsthals Libretto schickt dafür eine unfruchtbare Kaiserin auf die Suche nach einem Schatten, einer Metapher für Empathie und Elternschaft. Diesen Schatten will sie einer Färberin abkaufen, die selbst fruchtbar ist, doch ihr Mann zeugungsunfähig. Hofmannsthal bettet diese Grundhandlung in ein überladenes Geflecht von Symbolen und fantastischen Elementen ein. Passend dazu: der cineastische Bombast von Strauss’ Partitur, die zwischen Spätromantik und Atonalität mäandert und von einem erweiterten Orchester getragen wird.
Schwab und Schwencke haben das Werk für die Neuköllner Oper entschlackt. Sie reduzieren das Ensemble auf eine Minimalbesetzung, lassen nur Skelette der Partitur übrig. Das Kammerorchester stellt einzelne Melodien heraus, tauscht Größenwahn gegen Intimität – sodass sich Schwencke auch mal den Dirigierstab zwischen die Zähne klemmt, um Klavierparts zu übernehmen.
Schwab befreit die Handlung von ihren fantastischen Elementen, rückt dafür die Zerrissenheit der Färberin um ihre potenzielle Mutterschaft in den Fokus. Hofmannsthals kategorische Überhöhung der Fruchtbarkeit zum Menschsein überhaupt konterkariert die Regisseurin mit feministischen Zitaten: Sylvia Plath, Hedwig Dohm und Gabriela Mistral setzen dem Patriarchat flammende Plädoyers entgegen.
Während manch Regisseur die Handlung in einen Kreißsaal verlegt, dienen im Neuköllner Opernsaal zwei Podeste in der Raummitte als Bühne, über einem baumeln Diskokugeln und Babyhemdchen, überm anderen eine nackte Glühlampe. Das Publikum umringt die Handlung, sitzt teils auf gemachten Betten. Kostümen und Maske gelingt die Gratwanderung zwischen kitschiger Märchengarderobe und moderner Stilisierung – Hrund Ósk Árnadóttir und Franziska Junge schaffen als kalte, gefühllose Kaiserin und menschliche, zerrissene Färberin eine greifbare Spannung im Saal.
Den finalen Chor der ungeborenen Kinder, die sich ankündigen, lässt die Inszenierung weg. Auch das Färberpaar findet am Ende nicht, wie im Original, zusammen. Stattdessen verlässt die Färberin ihren Mann, der ihr den Tod angedroht hat. Dennoch bleibt Schwab so dicht an der originalen Handlung, dass man ihr noch mehr Mut wünscht, die Figuren dem verstaubten Libretto widersprechen zu lassen, mit den misogynen Texten zu brechen. So wie in der Endszene: Die besinnt sich statt auf Fruchtbarkeit auf alternative Formen der Familie. Färber, Kaiser und Kaiserin samt neuem Schatten betrinken sich in intimer Geselligkeit am Küchentisch. Über ihnen flackert die nackte Glühlampe ein letztes Mal auf. Dann ist es dunkel.