Die dunklen Seiten des Begehrens: Dimitris Papaioannous „Ink“ im Haus der Berliner Festspiele
Es spritzt, sprüht und plätschert. In der Performance „Ink“ von Dimitris Papaioannou fließt allerdings keine Tinte auf die Bühne des Festspielhauses. Stattdessen ergießen sich hunderte Liter Wasser aus einem Sprinkler in den schwarzen Raum, der mit Plastikplanen verhängt ist. Papaioannou wird gleich zu Beginn von einem kräftigen Strahl getroffen; stoisch erträgt er, wie das Wasser an ihm herunterläuft. Später sammelt er es in einem runden Glas und beherbergt darin einen Oktopus. Der ist nur eine Attrappe, kein Tier wird bei dieser Performance gequält.
Alles fließt
Die Performance könnte man in Anlehnung an die Thriller von Dirk Roßmann auch „Die Rache des Oktopus“ nennen. „Ink“ ist aber ein sehr persönliches Stück. Der griechische Künstler taucht tief ein in das Unterbewusste. Sein Spiel mit Symbolen und mythischen Motiven erhält durch die fließenden Bedeutungen und die ständigen Metamorphosen etwas Rätselhaftes.
Papaioannou hat als Maler und Zeichner begonnen, das sieht man der Perfomance auch an. „Ink“ fasziniert allein schon durch das visuelle Design. Der Künstler setzt Wasser nicht nur als symbolisches, sondern zugleich als skulpturales Element ein. Dadurch gelingen ihm faszinierende Bilder, die oftmals etwas Surreales haben.
Doch Papioannou ist auch ein Performer, der mit seiner starken Präsenz fesselt. In dem jungen Tänzer Šuka Horn hat er einen ebenbürtigen Partner. Dessen nackte Gestalt scheint hier aus dem Wasser aufzutauchen. Wie er über die Bühne gleitet, mutet er wie eine Schimäre an, dann wie ein zappelnder Fisch oder eine Amphibie. Papaioannou, der einsame Hüter eines verlassenen Ortes, versucht zunächst, den Eindringling abzuwehren, in einzufangen und einzuschließen in einer Plexiglas-Röhre. Wie ein Klon in einem Reagenzglas sieht Horn dann aus.
Das Ringen des jungen und des alten Mannes durchläuft unterschiedliche Phasen: Mal wirken die beiden wie Vater und Sohn oder Meister und Schüler, dann wieder erinnern sie an Liebende. Homoerotische Aspekte finden sich in allen Arbeiten des griechischen Künstlers. Er findet ungewöhnliche Bilder für die körperliche Vereinigung: Horn macht einen Handstand und gießt das Wasser aus dem Kugelaquarium auf den unter ihm liegenden Papaioannou – wie bei einer Brunnenskulptur.
Ein Kampf um Dominanz und Unterwerfung
Šuka Horn ist aber nicht nur das obskure Objekt der Begierde, er verkörpert hier auch die Evolution der Lebewesen. Irgendwann dressiert der Ältere ihn wie ein Äffchen, reicht ihm schließlich eine Unterhose, um seine Blöße zu bedecken. Aus dem Spiel wird dann blutiger Ernst. Papaioannou mutiert zum sadistischen Zirkusdompteur im roten Frack und schwingt die Peitsche.
Während die Streicherklänge, die der griechische Dirigent Teodor Currentzis und sein Ensemble musicAeterna eingespielt haben, zunächst etwas Mystisches heraufbeschwören, erklingt nun ein Walzer mit schrägen Tönen. Der Kampf um Dominanz und Unterwerfung wird sehr physisch ausagiert. Doch der junge Hüpfer, zunächst noch eine formbare Kreatur, beginnt zu rebellieren. Der Jäger wird zum Gejagten. Und bald zappelt der Peiniger in den Seilen und wird hochgezogen wie ein Beutetier.
Es sind die dunklen Seiten des Begehrens, die Papaioannou beleuchtet. Er selbst verkörpert überzeugend eine höchst ambivalente Figur: einen alten Mann, der alles beherrschen will – und dem zuletzt die Kontrolle entgleitet. Ob der Jüngling nur sein eigenes Fantasma ist, lässt die Performance offen.
Dimitris Papaioannou hat sich international einen Namen gemacht, in Berlin war er bislang noch nicht zu sehen. Es ist sehr verdienstvoll von Yusuke Hashimoto, dem Kurator der Performance Arts Season, dass er den Künstler mit seiner intimen Performance eingeladen hat. Das Berlin-Debüt des 59-Jährigen wurde vom Publikum mit viel Jubel gefeiert.