Bis zum Ende gegen die Ungleichheit
Greta ist um die Vierzig, Architektin, arbeitslos, geschieden, Mutter. Nicht notwendigerweise in dieser Reihenfolge, aber man kann sich die Verhältnisse, in die man hineingeboren wird, schließlich nicht aussuchen. Eine Freundin rät ihr, die freie Zeit doch einfach zu genießen. „Jedes Telefonat ein rhetorisches Meisterwerk“, erklärt hingegen die Vorgesetzte im Call-Center, in dem sie Fertighäuser verkaufen muss. „Kommunikation ist Argumentation.“ Diese Tristesse aus Selbstoptimierung und -entfremdung wird nur noch getoppt von Gretas Spaziergängen auf Stöckelschuhen durch anonyme Berliner Townhouse-Siedlungen. „Ghettoisierung des Stadtraums oder moderne Wohnkultur?“, fragt sie eine entgeisterte Mutter mit schwäbischem Dialekt.
Mit ihrem Spielfilmdebüt „Die flexible Frau“ von 2010 schuf die Berliner Regisseurin Tatjana Turanskyj über dreißig Jahre nach Helke Sanders’ „Die allseitig reduzierte Persönlichkeit“ das Portrait einer berufstätigen Frau, die sich von den gesellschaftlichen Widersprüchen nicht unterkriegen lässt. Die damalige Volksbühnen-Schauspielerin Mira Partecke schlüpfte unbeirrt in Turanskyjs Inszenierung aus Performance- und Sprechakten, glamourös, bravourös.
Eine Frau, die weder ihren Körper noch ihre Stimme dem Arbeitsmarkt feilbietet. „Die flexible Frau“ war ein feministisches Manifest und im Sinne Richard Sennetts eine Kritik an neoliberalen Selbstausbeutungsverhältnissen: Kämpfe, für die Tatjana Turanskyj in Erinnerung bleiben wird.
Bereits am Samstag verstarb die 1966 in Hannover geborene Filmemacherin nach schwerer Krankheit im Alter von 55 Jahren. Sie hinterlässt ein schmales Œuvre, das ihrer Bedeutung und ihrem Einfluss im deutschen Film kaum gerecht wird. Somit wird nun auch ihre Trilogie „Frauen und Arbeit“ unvollendet bleiben, die Tatjana Turanskyj 2014 mit „Top Girl oder la déformation professionnelle“ fortsetzte. Julia Hummer spielt darin eine junge Mutter, die ihren Lebensunterhalt als Escortdame verdient – mitten im Berlin der „Digitalen Bohème“. Die Trilogie war eines der spannendsten Projekte in der deutschen Filmlandschaft.
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Frühe Arbeiten im Umfeld der Volksbühne
Man konnte die „professionelle Deformation“ in Turanskyjs Arbeit – als feministische Regisseurin – auch wörtlich verstehen. Im selben Jahr, als „Top Girl“ auf der Berlinale seine Premiere feierte, gehörte sie zu den Gründerinnen der Initiative Pro Quote Regie, die sich für bessere Arbeitsbedingungen von Frauen in der deutschen Filmindustrie einsetzte und eine Reform der Förderbürokratie forderte. Es war ein kraftraubendes Engagement, vielleicht auch ein Grund, warum ihr filmisches Gesamtwerk rückblickend so überschaubar geblieben ist. Aber Kunst und Politik ließen sich in der Arbeit von Tatjana Turanskyj nur schwer trennen, auch darum wäre es ungerecht, sich an die Regisseurin in erster Linie als Aktivistin zu erinnern.
Mit dem Kollektiv Hangover machte Turanskyj Anfang der nuller Jahre im Umfeld der Volksbühne auf sich aufmerksam. Sie, Sophie Huber, Christine Groß, Claudia Splitt und Ute Schall kamen von der Performancekunst zum Film, Turanskyj hatte zuvor bereits mit Einar Schleef gearbeitet. Die Videofilme, die zwischen 2001 und 2007 entstanden, darunter „Hangover“, „Petra“ und „Korleput“, wirkten wie Laboratorien für eine neue radikale Filmsprache, so aggressiv wie verletzlich in der Darstellung weiblicher Begehren – und eben darin eminent politisch.
Nach der Trennung 2007 entwickelten Turanskyj (mit „Die flexible Frau“) und Schall/Groß (mit „Das traurige Leben der Gloria S.“) ihre Ästhetik in verschiedene Richtungen weiter. Die „Hangover“-Filme waren für den „Diskurs-Agitprop“ der Berliner Kulturszene in den nuller Jahren ebenso stilbildend wie René Polleschs Theater-Produktionen im Prater der Volksbühne. Zehn Jahre später kehrte Turanskyj mit dem dokufiktionalen „Orientierungslosigkeit ist kein Verbrechen“ zur Arbeit im Kollektiv zurück, diesmal mit Marita Neher. Es blieb ihr letzter Film.
Tatjana Turanskyj hatte eine Vision für den deutschen Film, die sich mit den Anforderungen einer Industrie nur schwer vereinbaren ließ. Dass sie trotzdem an das Kino glaubte, macht ihr Schaffen so heroisch. Pro Quote Regie wird diesen Kampf auch in ihrem Namen weiterführen.