„Die Anfragen haben unsere Kapazität überschritten!“

Am Samstag findet unter dem Motto „Blau-Weiße Begeisterung kennt kein Handicap“ der 11. Behindertentag des 1. FC Magdeburg statt. Über 3.000 Fans mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung sind zum Heimspiel eingeladen.

Gerald Altmann sitzt seit einem Unfall vor über dreißig Jahren im Rollstuhl. Als eingefleischter Fußballfan war er regelmäßig im Stadion als Besucher anzutreffen – bis er schließlich selbst Vereinsmitarbeiter wurde.

Seit 2011 ist Altmann der Behindertenfanbeauftragte des 1. FC Magdeburg. Im Interview spricht er über seinen Weg dorthin und über die Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung, ein Fußballspiel im Stadion genießen zu können.

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Herr Altmann, Sie sind Behindertenfanbeauftragter beim 1.FC Magdeburg. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich hatte mich einmal gegen eine Ansage im Germer-Stadion, wo wir damals noch gespielt haben, gewehrt, bei der es hieß: Die Rollstuhlfahrer stehen vor der Werbebande und die sollen dort weg. Ich bin stehengeblieben und habe mich geweigert und da kamen auch alle anderen Rollstuhlfahrer zurück. Von diesem Zeitpunkt an kamen immer alle zu mir, wenn es Probleme gab, obwohl ich noch gar keine offizielle Funktion hatte.

Der Dachverband der FCM-Fanclubs hat die Behindertenarbeit, die es damals bei uns im Club überhaupt nicht gab, vorangetrieben und sprach mich an, ob ich das nicht machen wollen würde. Und daraus hat sich dann kurze Zeit später ergeben, dass ich als Behindertenfanbeauftragter berufen wurde [2011]. Zuerst war das im Ehrenamt. Mit dem Aufstieg in die dritte Liga 2015 bin ich dann in das Angestelltenverhältnis gewechselt.

Gerald Altmann ist seit 2011 Behindertenbeauftragter des 1. FC Magdeburg.Foto: 1. FC Magdeburg

Also Sie sind als eingefleischter Fan gekommen und bis heute geblieben in der Doppelfunktion als Mitarbeiter?
Richtig!

Ist es für Sie als Rollstuhlfahrer einfacher, die Belange der Fans mit Behinderung besser zu verstehen?
Naja, sagen wir mal so: So ist es nicht. Natürlich kann ich die Belange der Rollstuhlfahrer zu hundert Prozent einschätzen, sogar wenn jemand mehrfach behindert ist. Da hat man seine Erfahrung. Ich bilde mir aber nicht ein, dass ich für jeden Behinderten sprechen kann, weil jeder einfach andere Bedürfnisse hat. Da muss mir dann auch einiges erklärt werden. Für einen Blinden oder Hörgeschädigten gelten ganz andere Voraussetzungen, um ein Fußballspiel genauso genießen zu können wie wir, die sehen und hören können. Und das maße ich mir nicht an, jedes Bedürfnis zu kennen. Aber man kann ja über alles sprechen und dann bekommt man das schon hin.

Aber hilfreich ist es für die Kommunikation dann sicherlich schon, dass Sie selbst „betroffen“ sind?
Ja natürlich, das baut von vornherein vielleicht auch eine bestimmte Hemmschwelle ab. Ich bin ja mittlerweile auch bekannt unter den Fans. Egal, was für eine Behinderung sie haben, sie kommen dann schon auf mich zu. Aber ich kenne auch Behindertenfanbeauftragte, die selber keine Behinderung haben, aber da affin sind und sich gut hineinversetzen können in die Menschen. Also es nicht so, dass es unbedingt eine Voraussetzung ist, aber ich denke schon, dass ich zumindest dann für eine große Gruppe von Behinderten sprechen kann und die Bedürfnisse da auch kenne.

Melden sich die Menschen mit Behinderungen dann direkt bei Ihnen, wenn sie ins Stadion kommen wollen?
Die Tageskarten für Behinderte laufen alle über mich – außer die Dauerkarten, die werden ganz offiziell über die Geschäftsstelle oder online gekauft. Wir haben 64 Rollstuhlplätze im Stadion, davon sind 53 mit Dauerkarten belegt und die restlichen elf dann für den freien Verkauf. Zudem haben wir die Blindenreportage, da gibt es extra Karten, die auch über mich laufen.

Wie kann man sich einen Stadionbesuch für einen blinden Menschen vorstellen?
Auf „Barrierefrei im Stadion“ kann man sich das gut anschauen, da ist so ein kurzer Teil unserer Blindenreportage drinnen. Wir haben viele im Ehrenamt, die als Blindenreporter arbeiten; wir sind da schon sehr weit. Wir lassen die auch regelmäßig schulen. Da finden im Januar vom DFB [Deutscher Fußball Bund] immer Schulungen statt. Das ist jetzt wegen Corona leider mehrfach ausgefallen. Aber da schicken wir unsere Leute dann immer hin und übernehmen auch als Verein die Kosten dafür.

Seit wann gibt es denn die Blindenreportage beim FCM?
Wir führen jährlich einen Behindertentag durch, wo wir bis zu 3.000 Behinderte ins Stadion einladen. Beim dritten Behindertentag [2012] hatten wir zum ersten Mal eine Blindenreportage angeboten, damals mit zehn Plätzen. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu den Fanclubs und der Fanbetreuung von Hertha BSC und die hatten uns die Anlage dafür zur Verfügung gestellt. Später haben wir dann eine eigene Anlage für zwanzig Personen angeschafft, was über Spenden gelang. Das tolle ist, dass man die Blindenreportage überall im Stadion hören kann, es ist also egal, auf welchem Platz der Sehbehinderte dann sitzt.

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Und wie oft gab es den Behindertentag schon?
Zehn Behindertentage haben wir ohne Probleme geschafft, aber der elfte lässt nun leider schon zwei Jahre auf sich warten.

Wegen der Corona-Pandemie?
Genau, dadurch mussten wir ihn jetzt schon zwei Jahre ausfallen lassen. Und auch diesmal war es nicht sicher, weil wir für den Behindertentag eine Vollauslastung im Stadion brauchen – für die 3.000 Menschen mit Behinderung brauchen wir die gesamte Südtribüne.

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Und dieser findet jetzt am 09. April 2022 endlich wieder statt?
Ja. Im gesamten deutschen Fußball ist unser Behindertentag, den wir ausrichten, übrigens der größte.

Welches Feedback haben Sie von außerhalb bekommen, dass der Behindertentag jetzt wieder stattfindet? Wie groß ist die Vorfreude auf Samstag?
Die Anfragen haben wieder unsere Kapazität überschritten! Wir haben rund 3.100 Tickets verteilt. Also kann man zurecht sagen: Das Feedback aus den Einrichtungen war hervorragend und die Vorfreude ist auch bei allen Teilnehmern zu spüren. Das haben wir besonders bei den persönlichen Kartenübergaben erfahren dürfen.