Der Jedermann von Hollywood
Selbst hinter Gittern kann die Fantasie triumphieren. Man muss ihr bloß auf die Sprünge helfen. „Es ist nur eine Liebesgeschichte, aber eine sehr schöne“, sagt Luis Molina zu dem politischen Häftling, mit dem er sich in einem südamerikanischen Gefängnis eine Zelle teilt.
Dann spielt er ihm im Negligé und mit einem zum Turban getürmten Handtuch auf dem Kopf ganze Kinomelodramen vor. Für seine Hauptrolle Rolle in Hector Babencos Literaturverfilmung „Der Kuss der Spinnenfrau“ gewann William Hurt 1986 den Oscar. Der homosexuelle Luis Molina war eine feinfühlige Dekonstruktion männlicher Rollenbilder im Reagan-Kino, in dem Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone die zugkräftigsten Stars waren. William Hurt galt damals als eine andere Sorte von Star, schon weil er eher wie ein Handelsvertreter aussah.
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Im Gegensatz zu den Actionstars war Hurt auf keinen Typus festgelegt, er konnte eigentlich alles spielen. Vielleicht liegt genau darin die Schauspielkunst, die Rollenmimikry, von der er später in Interviews gerne sprach, wenn er nach seiner Wandlungsfähigkeit gefragt wurde. Als Allerweltstyp hatte er in Hollywood über einige Jahre ein Abo auf die Rolle des Objekts weiblicher Begierden, in „The Big Chill“ (1983), „Gottes vergessene Kinder“ (1986) und „Nachrichtenfieber – Broadcast News“ (1987). Damals begann auch Hurts Zusammenarbeit mit dem Regisseur Lawrence Kasdan, mit dem er vier Filme drehte, angefangen mit dessen Debüt, dem Neo-Noir-Krimi „Heißblütig – Kaltblütig“ (1981).
Seine Karriere begann am Theater
Allerdings haben es die Achtziger nicht nur gut mit William Hurt gemeint. Nach Alkoholeskapaden erlebte Hurt Rückschläge in seiner Karriere. Vor zehn Jahren beschrieb Marlee Matlin, die für „Gottes vergessene Kinder“ den Oscar erhielt, in ihren Memoiren, wie sehr sie in ihrer zweijährigen Beziehung unter Hurts psychischer und auch sexueller Gewalt gelitten habe. Das war vor MeToo, damals zeigte sich Hollywood noch nachsichtig mit seinen gefallenen Stars.
Hurt, der 1950 in Washington geboren wurde, hatte seine Karriere am Theater begonnen. In der New Yorker Circle Repertory Company war er Ende der Siebziger von Ken Russell für dessen psychedelischen Horrorfilm „Der Höllentrip“ entdeckt worden, in dem sich Hurt nach schamanistischen Drogenexperimenten wieder in einen Primaten verwandelt.
Anfangs kritisierte die Kritik noch seine Unscheinbarkeit
Russells Film gehört jedoch zu den Ausnahmen, Hurt hat in seinen Rollen keine Manierismen kultiviert. Diese Unscheinbarkeit bemängelte die Kritik zu Beginn seiner Karriere gelegentlich, Hurt machte sie erfolgreich zu seinem Markenzeichen. Selbst in Interviews wirkte seine Mimik so undurchschaubar, dass man sich fragte, ob aus seinen artikulierten Antworten eher Nachdenklichkeit oder doch Arroganz spricht.
Zu welcher Intensität Hurts unterkühltes Spiel fähig war, beweist sein Kurzauftritt in David Cronenbergs „A History of Violence“. Eine Handvoll Sätze und ein denkwürdiger Tod brachten ihm 2006 seine vierte Oscar-Nominierung ein. Da war er längst zum Inbegriff des Charakterdarstellers aufgestiegen, der die Schauspielerei intellektuell begreift. Aber auch das Kintopp hat er geschätzt. Im Marvel Cinematic Universe trat er vier mal auf, zuletzt 2021 als Militär-Bösewicht Thunderbolt Ross in „Black Widow“.
Vor vier Jahren war bei William Hurt Hurt eine Prostatakrebs-Erkrankung entdeckt worden. An deren Folgen ist der Schauspieler am Sonntag gestorben. Er wurde 71 Jahre alt.