Berliner Weltkinofestival: Lieder gegen die Katerstimmung

Aus aktuellem Anlass bietet es sich an, die Reise durch das Weltkino der vergangenen zwölf Monate an ihrem Ende zu beginnen. Am 7. Dezember beschließt das Weltkinofestival „Around the World in 14 Films“ seine 19. Ausgabe mit Joshua Oppenheimers Endzeit-Musical „The End“.

Kriege in der Ukraine, in Gaza und Libanon, Klimakatastrophe, die Rückkehr Donald Trumps und seiner rückwärtsgewandten Politik, eine anhaltende Kinokrise und Kürzungen im Berliner Kulturhaushalt, als hätte die AfD bereits gewonnen: Vielleicht ist das Musical wirklich die angemessene Form in dieser grassierenden Weltuntergangsstimmung.

Tilda Swinton und Michael Shannon spielen in „The End“ ein obszön reiches Ehepaar (er hat für die Ölindustrie gearbeitet), das sich zwanzig Jahre zuvor vor einer Umweltkatastrophe mitsamt Hausarzt und Butler in ein stillgelegtes Salzbergwerk zurückgezogen hat. Die unterirdischen Katakomben haben sie in ein Luxusdomizil verwandelt, in dem das Leben weitergeht, als wäre nichts passiert – abgesehen von gelegentlichen Notfallübungen mit ihrem erwachsenen Sohn (George MacKay).

Als eine junge Frau (Moses Ingram) plötzlich im Familienbunker auftaucht, sehen die Eltern die von ihnen sorgfältig aufrechterhaltene Ordnung bedroht. Vor allem, weil der Gast die Neugier des arglosen Jungen auf die Welt jenseits der Katakomben weckt.

Überlebenskampf als Selbstzweck

Regisseur Oppenheimer hatte mit seinen Dokumentarfilmen über die Auftragsmörder der indonesischen Todesschwadronen („The Act of Killing“) bereits eine eigenwillige Form gefunden, mithilfe von Re-Inszenierungen die moralischen Abgründe des Menschen freizulegen. Sein Spielfilmdebüt ist nun ein verstörend aseptisches Kammerspiel, in dem die spröden Musicaleinlagen die Monotonie des Alltags nie überhöhen.

Böses Geld. Tilda Swinton und Michael Shannon führen nach der Apokalypse in „The End“ einfach ihr normales Leben weiter.

© Felix Dickinson/Neon

Wie in seinen Dokumentarfilmen interessiert sich Oppenheimer mehr für die Verdrängungsmechanismen, die der Mensch als Schutzfunktion um sich errichtet. Und weil in „The End“ niemand die Frage nach der Schuld am Exitus der Menschheit stellt, ist der Überlebenskampf reiner Selbstzweck, ohne Aussicht auf eine Zukunft.

Weniger pessimistisch fällt die andere Superreichen-Satire im diesjährigen Programm aus. In „Veni Vidi Vici“ des österreichischen Regie-Duos Daniel Hoesl, Julia Niemann beugt der soziopathische Investor Maynard (Laurence Rupp) die Regeln der Gesellschaft nach seinen Launen; zur Entspannung begibt er sich in seiner Freizeit auf Menschenjagd. Tochter Paula (Olivia Goschler) fungiert als moralisches Korrektiv dieser Wohlstandverwahrlosung, kann den Verlockungen ihrer Privilegien aber auch nicht widerstehen. Wo „The End“ in seinem Pessimismus fast statisch anmutet, neigt „Veni Vidi Vici“ zum grellen Exzess.

„Around the World in 14 Films“ widerlegt Kritiker, die sich zuletzt über den durchwachsenen Kinojahrgang 2024 beschwert hatten. Es mögen die Arthouse-Blockbuster fehlen, aber der Mittelbau hat wieder eine äußerst agile Auswahl an Filmen hervorgebracht. Die diesjährigen Beiträge stammen unter anderem aus Somalia, Argentinien, Vietnam, Griechenland, Mexiko und dem Iran.

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