Auf Kollisionskurs

Das Kino von Michael Bay funktioniert seit inzwischen fast dreißig Jahren nach einem einzigen Gesetz: Immer muss irgendetwas passieren – notfalls auf der Tonspur. Dass er dabei nicht mal vor Christopher Cross’ Schmachtfetzen „Sailing“ zurückschreckt (der Inbegriff uncooler Popmusik), verrät einiges über den speziellen Humor des Action-Regisseurs.

Bay baut diesen schamlosen Eskapismus mitten in eine spektakuläre Autoverfolgungsjagd im Krankenwagen durch das Freeway-Labyrinth von Los Angeles ein: im Schlepptau eine Kolonne von Polizeiwagen, am Himmel schwirren Helikopter – und hinten ringt ein angeschossener Cop mit dem Tod. Die Schnulze fungiert wie der „Drop“ in der Dramaturgie moderner Pop-Produktionen: ein Moment des Innehaltens vor dem nächsten Adrenalinkick. „Ambulance“ ist eine einzige Aneinanderreihung von solchen akustischen und visuellen Stimulanzen.

Zu sagen, dass sich an Bay die Geister scheiden, wäre grob untertrieben. Dem Regisseur von patriotischem Gedöns wie „Pearl Harbour“, dem „Transformers“-Franchise und sexistischen Jungskomödien wie der „Bad Boys“-Trilogie ist das Kunststück gelungen, im modernen Actionkino ein eigenes Subgenre begründet zu haben: den Michael-Bay-Film. Und trotzdem ist an seinem larger than life Stillwillen jegliche Autorentheorie verloren. Die Kritik wird mit ihm sicher nicht mehr warm; das muss Bay auch nicht weiter beeindrucken, so lange seine Filme (zuletzt „6 Underground“ für Netflix) verlässlich ihr Geld einspielen.

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Metallschrott und Adrenalinrausch

„Ambulance“, das Remake eines gleichnamigen dänischen Thrillers von 2005, ist insofern einer der interessanteren Bay-Filme, als dass er jegliche äußere Dramaturgie auf ein Minimum reduziert. Bay und sein Autor Chris Fedak kommen schnell zur Sache: Zwei ungleiche Adoptivbrüder begehen einen dilettantischen Banküberfall. Irak-Veteran Will (Yahya Abdul-Mateen II) muss eine teure Krebsbehandlung für seine Frau bezahlen, der volatile Danny (Jake Gyllenhaal) ist als Berufskrimineller in die Fußstapfen ihres gemeinsamen Vaters getreten.

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Der Job geht gründlich schief, innerhalb weniger Minuten verwandelt sich der Tatort in ein Schlachtfeld, Will und Danny gelingt mit einem gekaperten Krankenwagen die Flucht. Während die Brüder ihre Haut zu retten versuchen, kämpft hinten die Notfallmedizinerin Cam (Eiza González) um das Leben des Polizisten. FBI und Polizei folgen ihnen mit allem, was der militärisch-industrielle Komplex an modernster Technologie hergibt.

(In 17 Berliner Kinos, auch OmU/OV)

Eines muss man Bay lassen: In seiner kunstlosen Reduktion auf die reine Beschleunigung von Metall – in Form von Autokarosserien und Kugeln – kann „Ambulance“ tatsächlich als Kunstwerk eines Inselbegabten durchgehen: eine Mischung aus dem Klassiker „Speed“ und George Millers kinetischer Action-Skulptur „Mad Max: Fury Road“; wohlgemerkt ohne dessen Verständnis für Raum und Dynamik. (Ein altes Regie-Problem von Bay.) Die zwischenmenschlichen Verbindungen, die sich auf der Flucht einstellen – seine Interpretation des „Stockholm Syndroms“ – werden permanent vom brachialen Industrial-Soundtrack des Hans-Zimmer-Schülers Lorne Balfe niedergebrüllt, gegen den das Werk seines Lehrmeisters wie Kammermusik klingt.

Beflügelt von diesem Adrenalinrausch, schwingt sich Bays stumpfer Humor irgendwann zu bizarren Höhen auf. Neben dem „Sailing“-Intermezzo im Crashderby gehört zu diesen Momenten zweifellos auch die Not-Operation bei durchgedrücktem Gaspedal auf der Gegenfahrbahn (seit William Friedkins „Leben und Sterben in L.A.“ ein beliebtes Motiv des Los-Angeles-Films), während Will seinem Entführungsopfer Blut spendet und Cam eine Arterie mit einer Haarspange abklemmt. Selbstironie war bisher keine Stärke von Michael Bay, aber gewisse Cartoon-Qualitäten man kann „Ambulance“ nur schwer absprechen.