Mut zum Experiment
Wer aktuell ethnologische Museen in Deutschland besucht, erlebt sie im Umbruch. Die Diskussion um die Benin-Bronzen und ihre noch für dieses Jahr von der Bundesregierung angekündigte Restitution bringt sie auf Trab. Im Kölner Rautenstrauch-Joest-Museum werden die Skulpturen aus dem ehemaligen Königreich Benin gerade eingepackt. Im Ausstellungssaal stehen Transportkisten bereit, in denen bereits die ersten Exponate lagern. Noch sind die Deckel nicht zugeklappt, das Publikum kann sie ein letztes Mal bewundern.
Beim Berliner Humboldt Forum wird erst mit der Eröffnung des zweiten Teils vom Ethnologischen Museum in diesem Sommer zu sehen sein, ob die 1897 gewaltsam durch britische Truppen entwendeten Königsköpfe und Reliefplatten überhaupt ausgestellt werden. Oder ob man sie gleich im Depot belässt, da die Rückgabe kurz bevorsteht.
Die Geschichte des Raubs wird transparent
Das Leipziger Grassi-Museum hat sich für eine dritte Möglichkeit entschieden. Statt die Bronzen zu zeigen, wird in den Vitrinen die Geschichte ihres Raubs und die Bedeutung der Stücke für das Museum dargestellt. Und der nigerianische Künstler Emeka Ogboh, der schon 2020 mit einer Plakataktion in Dresden auf die Bedeutung des Verlusts für ihr Herkunftsland aufmerksam machte, widmet ihnen gleich daneben eine Installation.
„An der Schwelle“ heißt sie. In einem abgedunkelten Raum treten die abfotografierten Konterfeis der Obaköpfe zwischen Vorhängen hervor. Es bleibt unklar, ob sie kommen oder gehen.
Das trifft auch für ihr künftiges Schicksal zu. Noch ist ungewiss, ob sie in Leipzig bleiben dürfen oder Nigeria sie übernimmt. Die Verhandlungen der Bundesregierung laufen seit vergangenem Jahr. Emeka Ogboh hält einen Zwischenzustand fest, in dem sich zugleich das gesamte Museum befindet.
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„Reinventing Grassi.SKD“ heißt das Großprojekt, von dem das komplette Museum erfasst ist. Nach einer halbjährigen Schließung wird an diesem Freitag der erste Teil des neu eingerichteten Ethnologischen Museum der Öffentlichkeit wieder übergeben. Es unterzieht sich einer Transformation, die grundstürzend ist. Im Haus macht man sich auf alles gefasst – von Begeisterungsbekundungen bis zu schroffer Ablehnung.
Was die AfD von Veränderung am Museum hält, machte sie bereits Ende Januar mit einem Eilantrag im sächsischen Landtag klar, der einen neuen Namen für die Institution verhindern soll. Dabei ist noch nicht einmal einer gefunden. Noch wird nach einer gemeinsamen Bezeichnung gesucht für alle drei ethnografische Sammlungen des Landes – für Leipzig wie Dresden und Herrnhut. Die neue Zeit soll sich darin manifestieren.
Leipzig könnte die Blaupause auch für andere ethnologische Museen in Deutschland sein, nachdem das Humboldt Forum diese Chance verpasst hat. Als Holländerin geht Direktorin Léontine Meijer-van Mensch Veränderungen beherzter an, ähnlich wie ihre Landsfrau Nanette Snoep als Leiterin des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums. Ihr Modell ist das niederländische Nationalmuseum der Weltkulturen. Als das Ethnologische Museum in Basel sich einer ähnlichen Erneuerungskur unterzog, gab es erst einmal einen Sturm der Entrüstung.
Dass es in den Ausstellungssälen keine Abfolge voneinander säuberlich getrennter Kulturkreise mehr gab, wie es im Humboldt Forum zehn Jahre später immer noch der Fall ist, daran musste man sich in der Schweiz erst einmal gewöhnen. In Leipzig wird noch mehr vom Publikum verlangt.
Ihre Zielgruppe ist die Generation Z
Aber Meijer-van Mensch hat ihre wichtigste Zielgruppe sehr genau im Blick: die Generation Z, die Teens bis Mittzwanziger, die eher am Diskurs als an der Bewunderung exquisiter Stücke interessiert ist. Eine Erhebung der John-Hopkins-Universität gibt ihr Recht. Leipzig ist eine der jüngsten Städte der Bundesrepublik. Sie selbst will Teil einer globalen Debatte sein, nicht den konservativen Geschmack bedienen, auch wenn sie bereit ist zurückzurudern, sollte sich zu großer Protest erheben.
Doch das Grassi ist auf dem Weg. Und man kann ihm nur wünschen, dass es sich davon nicht abbringen lässt. Friedrich von Bose, der die Abteilung Forschung und Ausstellungen leitet, erklärt es ganz einfach: Die veränderte Sicht der Forschung soll sich auch im Museum niederschlagen, ebenso im Namen wie in allen anderen Bereich – in Ausstellung, Sammlung, Restaurierung, Didaktik. Als erstes wurde im ersten Stock eine Wand rausgerissen, endlich Licht und Luft, ein riesiger Saal für Objekte, die zu den schönsten gehören, aber noch keinen endgültigen Platz haben.
Museum in Bewegung
„Das Museum ist in Bewegung“ lautet programmatisch der Titel. Da steht ein Schlitten aus Potsdam unweit vom Modell eines chinesischen Familienbootes. Das Ausflugsboot aus der Provinz Guangxi darf als Gruß ans Humboldt Forum verstanden werden, wo man mit dem Lufboot immer noch um die angemessene Darstellung seiner Geschichte ringt.
Der Schlitten ließe sich auch als Verweis darauf lesen, dass in Berlin ausgerechnet das Museum Europäischer Kulturen außen vor gelassen wurde. Ein fundamentaler Fehler, wie Meijer-van Mensch findet, immer noch die Welt in Wir und die Anderen auseinanderzudividieren.
Angehörige aus Australien und Neuseeland kommen
In Leipzig kennt man keine Berührungsängste. Im Gegenteil. Im Zentrum des Museums wurde ein Raum der Erinnerung eingerichtet, wo Entsandte von Herkunftsgesellschaften im Rahmen von Ritualen „Human Remains“ übernehmen und dann rückführen können. An einer Wand hängen Bilder jüngster Repatriierungen, drei insgesamt. Als nächstes werden Angehörige aus Australien und Neuseeland erwartet. „Das Thema wird noch Generationen beschäftigen“, ist Meijer-van Mensch überzeugt.
Und noch ein Vorgang wurde aus den Kulissen nach vorne geholt: die Restaurierung. Sie findet nun hinter Glas für alle sichtbar statt. Ein junger Mann im weißen Overall mit roten Chucks und Atemmaske beugt sich über ein Objekt, trägt es dann weiter zur Kamera, um es zu fotografieren.
Scooter mit Tablets stehen bereit
Gleich vorne liegt ein Metallkiste mit der Aufschrift „Objekte mit Arsen behandelt“. Die wenigsten wissen, dass rund 4000 Sammlungsstücke kontaminiert sind, um sie haltbar zu machen und vor Schädlingsbefall zu schützen. Heute würde man das anders machen. Auch das ist ein toxisches Erbe.
Das Grassi hat sich von überall Unterstützung ins Haus geholt, um neue Zugänge zu seiner Sammlung zu finden. Zum Beispiel technische: Da stehen etwa Scooter mit Tablets bereit, in die man sich extern einloggen und damit durchs Museums sausen kann. Schüler finden das schon einmal super. Aber auch für den wissenschaftlichen Austausch mit Kolleg:innen woanders taugt das aus den Niederlanden importierte Modell.
Das Künstlerkollektiv Para provoziert
Seine Experimentierfreudigkeit stellt das Museum auch mit der Einladung an das Berliner Künstlerkollektiv Para unter Beweis. Das widmet sich einem besonderen Gönner des Grassi, dem Kolonialgeografen Hans Meyer, der 1889 von seiner Besteigung des Kilimandscharo den Gipfelstein mitbrachte. Die eine Hälfte schenkte er dem Kaiser, die andere befindet sich heute im Handel. Tansania soll sie endlich zurückerhalten, findet Para.
Dafür startet die Gruppe eine Crowdfunding-Aktion und hat mitten im Museum eine eigene Steinproduktion aufgebaut, bei der Brocken des Postaments von Meyers Büste weiterverarbeitet werden. Wenn das alles nicht hilft, hat das Kollektiv ansonsten als Geisel den eigenhändig abgesägten Gipfelstein der Zugspitze in der Hand, genauer: in einem Safe, der ebenfalls ausgestellt wird. Symbolpolitik nennen die Berliner Schlauberger das und bringen damit Ironie in die verbissene Diskussionen um Restitution und nationales Besitzstandsdenken.
Auch die alte Präsentationsweise gibt es
Das Grassi hat es aber auch nicht leicht mit seinen Ahnen. Noch so einer ist Karl Weule, in dessen Zeit als Direktor ab 1907 sich der Sammlungsbestand verfünffachte. Gezeigt werden nur 120 der insgesamt 120 000 Objekte, die er ans Haus schaffen ließ. Wer etwa die Makonde-Masken schuf, war ihm egal. In den Archivkarten des Museums gab es dafür damals keine Rubrik. Das wird nun nachgeholt, wenn auch unvollständig. Unter Herkunft heißt es heute aus Respekt vor den anonym gebliebenen Künstler:innen: „uns unbekannt“.
Noch hat das Grassi seinen Häutungsprozess nicht hinter sich. Weite Teile der Sammlung bestehen weiterhin so wie in den letzten anderthalb Jahrzehnten – mit regionalen Zuordnungen, überfüllten Vitrinen, Hüttenzauber. Das kommt einem plötzlich hilflos veraltet vor, ohne Anbindung an die Gegenwart. Man sollte aber zumindest Teile davon bewahren. Auch das ist Museum.