Kolumne Berliner Trüffel (27): Ein Passant im Widerstand
Mit hochgezogenen Schultern, die Hände tief in den Manteltaschen vergraben, stemmt sich der Spaziergänger schräg gegen den Wind. Mit ernster Miene richtet er seinen Blick auf den unebenen Weg vor seinen Füßen. Von den Vorübergehenden und Radelnden auf der Fahrradstraße nimmt er keine Notiz. Der Passant ist in Gedanken ganz bei sich.
Ein Denkmal für Carl von Ossietzky, den Herausgeber der „Weltbühne“, der für seine Überzeugungen ins Gefängnis ging und ins Konzentrationslager kam. Träger des Friedensnobelpreises, den er nicht entgegennehmen durfte. Gestorben 1938 an den Folgen der KZ-Haft.
Die DDR hielt ihn in Ehren
Die DDR hielt Ossietzky als Opfer des Faschismus in Ehren, trotz seiner kritischen Haltung gegenüber Kommunisten. Am Vorabend von Ossietzkys 100. Geburtstag, am 2. Oktober 1989, wurde die Skulptur eingeweiht. Ein Beirat für Stadtgestaltung beim Oberbürgermeister von Ost-Berlin hatte den Entwurf des Bildhauers Klaus Simon ausgewählt, weil er jede heroische Geste konsequent vermied.
An der Figur selbst ist nichts, was auf den verordneten Antifaschismus der DDR hinweist, der ja auch immer der Legitimation der DDR-Herrschaft diente. Platziert wurde sie neben der damaligen Protokollstrecke zwischen Schloss Schönhausen, dem Gästehaus der DDR-Regierung, und dem Stadtzentrum. Außerdem verweist die Ossietzkystraße darauf, dass der todkranke Oppositionelle nach seiner Entlassung aus dem KZ in einem Sanatorium in Niederschönhausen lebte und nicht weit entfernt begraben wurde.
Die widerständige Haltung der grandios gelungenen Figur, die auf einem flachen Sockel auf einer Rasenfläche steht, weckt die Neugier, sie von allen Seiten aus der Nähe zu betrachten. So entdeckt man in die Rückseite des Sockels eingeritzt doch noch eine Botschaft: „Von mir ist weiter nichts zu sagen.“