Artistische Raffinesse

Sie war eine Frau mit vielen Identitäten und Pseudonymen. Als Isak Dinesen kennt und liest man sie in der englischsprachigen Welt, in ihrer dänischen Heimat heißt sie Karen, auf dem deutschen Buchmarkt Tania Blixen.

Ihr berühmtestes Werk „Jenseits von Afrika“, das 1937 veröffentlicht wurde, beschreibt aus eigener Erfahrung das Leben auf einer kenianischen Kaffeefarm. Ein viel bewundertes Buch, das seit einigen Jahren allerdings immer umstrittener wird.

Die Vorwürfe sind die üblichen: eine angeblich nicht genügend schuldbewusste Haltung zum Kolonialismus, unreflektierter Rassismus bei der Beschreibung der schwarzen Diener und Farmarbeiter.

Fast atmet man auf, weil Tania Blixens späte, nun erstmals vollständig auf Deutsch erscheinende Novelle „Babettes Fest“ (Aus dem Dänischen von Ulrich Sonnenberg. Nachwort von Erik Fosnes Hansen. Manesse Verlag, Zürich 2022.120 Seiten, 20 €.) geradezu unverdächtig im hohen Norden spielt, in einem kalten, baumlosen Fjord-Kaff namens Berlevaag, östlich des Nordkaps.

Babette vereint zwei Seelen in ihrer Brust

Hier, an der Grenze der bewohnten Welt, in dieser eben doch nicht gottverlassenen Gegend, hat sich im 19. Jahrhundert eine kleine pietistische Gemeinde um ihren Prediger und Propst geschart. Er hat zwei wunderschöne Töchter, Martine und Philippa, die ihm an Frömmigkeit nacheifern.

Gelegentlich verschlägt es auch einen männlichen Bewerber in die Einöde. Um Philippa bemüht sich ein Opernsänger in Paris. Er erteilt ihr, die eine göttliche Stimme hat, Gesangsunterricht, den sie jedoch beim ersten Kussversuch ein für alle Mal abbricht.

Fürs Leben enttäuscht kehrt der Sänger nach Paris zurück, schickt aber sechzehn Jahre später eine Freundin zu den Schwestern ins rettende Exil: keine andere als Babette, die zwei Seelen in ihrer Brust vereint.

Sie hat dem geschmacksverwöhnten Pariser Adel als Meisterköchin gedient, bis sie als Kommunardin gegen die Luxusklasse aufbegehrte – womöglich ist sie gar eine „Petroleuse“, eine revolutionäre Brandstifterin.

Bei der blutigen Niederschlagung der Pariser Kommune 1871 wurde Babettes Familie getötet. Ihr gelingt die Flucht nach Berlevaag. Dort heißt es fortan Stockfisch und Brotsuppe zubereiten, als Haushaltshilfe der Tugendschwestern.

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Babette hat allerdings noch einen alten Lotterieschein, der ihr 1885 das Vermögen von 10 000 Franc einbringt, das sind heute ungefähr 50 000 Euro. Nun könnte sie zurückkehren. Stattdessen beschließt Babette, für ihre beiden Wohltäterinnen und die kleine Gemeinde ein opulentes Mahl zu veranstalten.

Sie gibt dafür das ganze Geld aus, indem sie in wochenlanger Vorbereitung die allerbesten Zutaten aus Paris ans frugale Nordkap kommen lässt – sie versteht sich hier als eine Künstlerin, die für ihre letzte Performance keine Verschwendung scheut. Auch wenn ihre Werke nur eine kurze, rasch abkühlende Existenz zwischen Topf und Gaumen besitzen.

Zwar wird die gesellige Runde während des Fests von überirdisch guter Laune erfasst. In gewisser Weise aber ist das exquisite Mahl eine Fehlinvestition.

Denn die frommen Gäste begegnen den aparten Gaumenfreuden wie den „Cailles en sarcophage“, also Wachteln im Blätterteig, mit Misstrauen und haben sich verabredet, alles, was aus Babettes Hexenküche kommt, ungerührt und kommentarlos herunterzuschlucken.

Es geht um Klassenfragen, Flucht und Exil

Nur einer, der alte General Löwenhielm, der einst vergeblich um Martine geworben hat, kann es nicht fassen. Solche Weine und Köstlichkeiten hat der weltläufige Mann bisher nur einmal vor langer Zeit genossen, im edelsten Restaurant von Paris. Er ahnt etwas.

Die märchenhaft-kuriose Geschichte eines Abendmahls wird von Tania Blixen in einfachen Worten erzählt. Und doch ist sie keine schlichte Kost, sondern selbst ein raffiniertes Buffet der Bedeutungen: Spiritualität und Sinnlichkeit, Religion und Weltgenuss, Askese und Luxus.

Es geht um Klassenfragen, um Flucht und Exil, um politischen Schrecken und unpolitische Großherzigkeit. Nicht zuletzt ist die Erzählung eine Parabel über das Verhältnis von Kunst und Publikum. Hat das Publikum überhaupt den Sinn für die artistische Raffinesse, mit der es beglückt wird? Oder schluckt es alles verständnislos herunter? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Kunstverständnis und gesellschaftlicher Privilegiertheit?

Blixen nahm viele Änderungen an ihrer Erstfassung vor

Große, kaum auslotbare oder gar zu beantwortende Fragen, über die nachzudenken die Geschichte anregt. Sie heißt nun „Babettes Gastmahl“. Das klingt etwas gesetzter oder philosophischer als der bisherige Titel „Babettes Fest“. Man denkt eher an Platon als an Party. Der allegorisch-tiefsinnige Charakter wird hervorgehoben.

Obwohl die Novelle 1987 durch eine preisgekrönte Verfilmung zu Weltruhm gelangte, wurde sie bisher noch nie vollständig ins Deutsche übersetzt. Die alte Übertragung von W.E. Süskind basierte auf einer englischen Vorabveröffentlichung in der amerikanischen Zeitschrift „Ladies’ Home Journal“ 1950.

Für die acht Jahre später erschienene dänische Buchfassung hat Blixen viele Änderungen und Erweiterungen vorgenommen. Sie ist ausgefeilter auch in der Figurenzeichnung. Diese Neuausgabe hat aber noch mehr zu bieten als die frische Übersetzung von Ulrich Sonnenberg. Das ausführliche, ebenso so kluge wie verschmitzte Nachwort des norwegischen Schriftstellers Erik Fosnes Hansen verdoppelt den Reiz der Lektüre.