Auf der artgenève fühlt es sich merkwürdig an

Wir haben alle diese Woche Geld verloren“, ist so ein Satz, den man aus Sammlermund auf einer Kunstmesse nicht hören möchte. Besonders fragwürdig wird eine derartige Aussage, wenn sie auf Börsenverluste angesichts des Kriegs in der Ukraine gemünzt ist. Andererseits soll es Menschen geben, die in einem besonders selbstgerechten Fall von virtue signalling allen Ernstes fordern, russische Künstler zu boykottieren und nichts mehr von ihnen zu kaufen. Beides findet zeitgleich auf der artgenève statt, die am Mittwoch in Genf eröffnet hat.

Messedirektor Thomas Hug stellt sich der Herausforderung, in Kriegszeiten eine Kunstmesse erfolgreich durchzuführen. „Das Thema ist natürlich allgegenwärtig“, erklärt er. „Es ist sehr merkwürdig, in dieser katastrophalen Situation ein Fest zu veranstalten. Wir waren so froh, nach oder noch in der Pandemie eine Messe machen zu können.“ Gerade sind in der Schweiz fast alle Corona-Maßnahmen aufgehoben worden, und auf der Vernissage trägt überhaupt nur noch ungefähr ein Prozent der Anwesenden Maske.

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Hug ist daher trotz allem zuversichtlich: „Ich glaube, dass es trotzdem die Energie und den Willen gibt, Kunst zu kaufen.“ Er glaubt an den Standortvorteil: „Man spricht natürlich über den Krieg, aber hier ist die Kaufkraft eher lokal. Wäre das die art monte-carlo, die Schwestermesse der Genfer, sähe es wahrscheinlich anders aus.“ Dort ist die Zahl russischer Millionäre und Milliardäre nämlich signifikant höher.

Das Publikum der artgenève rekrutiert sich hauptsächlich aus der Region, also der Westschweiz, Ostfrankreich und Norditalien – Mailand liegt etwa zweieinhalb Autostunden entfernt. Hinzu kommen einige der üblichen vielreisenden europäischen Sammler und Chaletbewohner aus der näheren Alpenumgebung.

Die Groß- und Mega-Galerien haben den Marktplatz für sich entdeckt

Die Besucherzusammensetzung stimmt also. Das Spektrum des Angebots ist für eine relativ kleine Regionalmesse erstaunlich breit gefächert. Die Groß- und Mega-Galerien haben den Marktplatz für sich entdeckt und sondieren nacheinander das Terrain. Hauser & Wirth und David Zwirner waren schon hier, in diesem Jahr haben Van de Weghe (New York) und Thaddaeus Ropac (Salzburg, Paris) Premiere. Gagosian – mit eigener Filiale vor Ort – fährt in diesem Jahr ein reduziertes Messeprogramm, habe seine Rückkehr im nächsten Jahr jedoch bereits bestätigt, so Hug.

Christophe van de Weghe ist aus New York mit einem hochkarätigen Mix angereist: Frank Stella, Alexander Calder, Andy Warhol empfangen den Standbesucher, weiter hinten hängt noch ein Picasso. Eigentlich habe er hier gerade nichts unter einer Million, meint er nach kurzem Überlegen. Zwei Werke seien bereits verkauft erklärt er – da ist die Vernissage gerade einmal zwei Stunden alt.

Die Pace Gallery unterhält seit vier Jahren eine Niederlassung in der Stadt und nimmt seitdem an der Messe teil. In einer außergewöhnlich großzügigen Geste spendet sie alle Einnahmen der Messeverkäufe dem UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR für dessen Ukraine- Hilfe. Der Stand ist eine Soloshow des 85-jährigen Lucas Samaras, der sich über seine gesamte Karriere hinweg mit Technologie auseinandersetzt und seit 1965 von der Galerie vertreten wird. Pace scheint damit übrigens die einzige Galerie auf der Messe zu sein, die NFTs anbietet (zu je 20 000 USD).

Es geht in Genf auch ein paar Nummern kleiner

Für andere Art Basel- oder Frieze-Teilnehmer eröffnet Genf neue Möglichkeiten. Capitain Petzel aus Berlin kann hier in angemessenem Ambiente ihr Programm präsentieren. Gisela Capitain erklärt ihre Zwickmühle: Da beide Partner jeweils mit ihren Galerien in Köln und New York an den sogenannten A-Messen wie Art Basel und Frieze teilnehmen, kommt das gemeinsame Unternehmen mit seinem eigenständigen Programm dort nicht zum Zuge. Eine Ausnahme sei Joe Bradley, der seit seinem Weggang von Gagosian nicht nur von Capitain Petzel, sondern neuerdings auch von Petzel vertreten werde. Mit einem Preis von 420 000 US-Dollar für sein neues Gemälde „Osh“ wäre es wohl auch ein wenig mühselig, nur auf dem Gallery Weekend Berlin oder der Art Cologne auf potente Sammler zu hoffen.

Die artgenève bietet da schon bessere Voraussetzungen. Es geht in Genf allerdings auch mehrere Nummern kleiner. Schon für um 1000 Euro sind attraktive Werke zu haben. Kleinformatige Lackgemälde von Thilo Jenssen kosten bei Christine König aus Wien 1500 Euro, Gouachen der in den USA ausgebildeten Vietnamesin Mai Ta sind bei Pablo’s Birthday sogar schon für 1100 Franken zu haben.

Es ist diese Mischung von shoppenden Millionären bis zum sammelnden Mittelstand, der Genf nicht zuletzt für Berliner Galerien interessant macht.

Berliner Galerien zieht es nach Genf zur regionalen Kundschaft

„Ich finde die Pandemie hat gezeigt, dass das Messeformat nicht durch etwas anderes zu ersetzen ist“, erzählt Silvia Bonsiepe von der Berliner Galerie Klemm’s. Und Genf habe sie schon lange gereizt. So habe es sich ergeben, dass die Galerie jetzt gleich an vier Messen hintereinander teilnimmt, von Los Angeles über Madrid, Genf bis Mailand.

Gonzalo Alarcón, Direktor bei Erstteilnehmer Thomas Schulte aus Berlin, sagt: „Tatsächlich wollten wir mal eine andere Messe ausprobieren. Wir schauen auch immer, wie das Umfeld der Messe ist, welche Kollegen teilnehmen. Und wir haben bereits einige Kunden in der Schweiz.“ Gleich zu Beginn wurde schon einer der unikaten Siebdrucke von Jonas Weichsel für 17 000 Euro an einen neuen einheimischen Kunden verkauft.

Auf dem Stand sind zehn Positionen der Galerie vertreten. Die Vielzahl fällt nicht auf; das unterscheidet Programmgalerien mit kuratorischen Fähigkeiten von solchen, die sich um des vermeintlich schnellen Verkaufens willen die Koje recht willkürlich befüllen. Von denen gibt es auf dieser Messe allerdings auch einige.