Architektur gegen die Einsamkeit
Mit Architektur wird gegenwärtig ordentlich verdient. Niedrigzinsen locken viele Akteure auf den Plan, die das schnelle Geld wittern und besinnungslos in Betongold investieren. Qualität ist kaum mehr ein Kriterium für die eiligen Käufer. Alles was über gängige Standardlösungen hinausgeht, erhöht den Aufwand und mindert die Gewinnmarge.
Willfährige Architekten realisieren Schubladenentwürfe und betreiben vorauseilend Kostenminimierung. Neue Ideen stören die Routine. Genehmigungsbehörden verabscheuen Überraschungen. Alle Seiten sind an geschmeidigen Abläufen interessiert.
Doch hin und wieder trifft man auf einen Investor mit Berufsethos, der sich der Verantwortung bewusst ist, der Wohnqualität sowie Nachhaltigkeit im Blickfeld hat und engagierten Architekten eine Chance gibt. Und der, das ist bezeichnend, die Immobilie mittelfristig im eigenen Bestand behält.
Am Lützowufer in Berlin-Kreuzberg empfängt der Münchner Unternehmer Stefan Höglmaier den Besucher in den repräsentativen historischen Räumen des Palais Eger aus dem Jahr 1888, die er vom Londoner Architekten David Kohn sanieren und zum Büro und Showroom einrichten ließ. Höglmaier (47), smarter, jungenhafter Sneakers-Typ, ist Selfmademan.
Der Vater Lehrer, die Mutter Hausfrau, wächst er im Münchner Umland auf. Schon vor dem Abitur jobbt er in einer Immobiliengesellschaft und will vor dem Studium noch ein Jahr lang als freier Verkäufer Berufserfahrung sammeln.
“Wir suchen das Potential in den Projekten”
Das macht ihm Spaß, er ist erfolgreich – die Universität wartet bis heute auf ihn. 1999 gründet er sein Unternehmen Euroboden GmbH, die er als „erste Architekturmarke der Immobilienbranche“. Gegenwärtig sind 25 Projekte mit einem Umsatzvolumen von 1,8 Milliarden Euro in der Entwicklung. Euroboden beschäftigt 65 Mitarbeiter in München, Berlin und Frankfurt.
„Ich habe mich immer gefragt, müssen das denn zwei Welten sein? Die Immobilienwelt, Zahlen, Excel-basiert, und andererseits die tollen Visionen, die in der Architekturszene entstehen. Wir suchen das Potenzial in den Projekten, das die Immobilienbranche nicht sieht.“
Beispielsweise in einem Plattenbauareal in Berlin-Kaulsdorf, wo Höglmaier gemeinsam mit dem Architekten Marc Frohn vom Architekturbüro FAR frohn&rojas über die Möglichkeiten nachdachte, wie man das Thema serieller Wohnungsbau weiterdenken könne. Es geht nicht nur um Mietobjekte und Wohnungsgrundrisse, sondern auch um Begegnungsräume und die Zwischenzone zwischen Privatsphäre und Öffentlichkeit als einen meist ignorierten Bestandteil der Wohnwelt.
Dazu gehören Wegeführungen, „möblierbare Filter“, also halböffentliche Flächen vor der Wohnungstür, deren Öffnungsgrad die Bewohner steuern können, die von den Bewohnern als kollektiver Lebensraum kommunikativ genutzt werden. Das gilt auch für die Dachflächen mit Bar, Planschbecken, Urban Farming und einer Kuppel, in der Indoor-Sport stattfinden kann.
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Zwei Wohnzeilen bilden mit den zum Hof offenen, berankte Laubengängen und dem Gartenplateau über der Garagenebene einen grünen Canyon. Das Gemeinschaftsplateau wurde von den Berliner Landschaftsarchitekten Topotek 1 als Erlebnis- und Begegnungsraum geplant, mit Pflanzbeeten, roten Tartan-Spielflächen und kreisförmigen Ausschnitten, aus denen Bäume aus der darunterliegenden Parkebene wachsen.
Das Projekt gibt Antworten auf die gesellschaftlich relevanten Fragen nach Architekturen für fließende Lebensmodelle zwischen Wohnen und Arbeiten, aber auch zwischen privatem Rückzug und Quartiergemeinschaft.
In dieser Situation ist man fast ausschließlich auf das Verantwortungsbewusstsein und Engagement von Developern angewiesen, also auf Höglmaier und Co, die ihre Funktion hinterfragen und beim Bauen für Menschen eine ethische Grundhaltung für notwendig halten.
Maximales Profitstreben ist dabei nicht hilfreich, denn eines ist deutlich: Differenziertere, flexiblere, lebendigere Wohnwelten zu bauen ist aufwändiger, mühsamer als serielle Massenkonfektion abzumetern und verspricht auch keine Rekordrenditen. Dennoch wird niemand arm dabei, wenn er humane Lebensräume schafft, wie die stetig expandierende Euroboden unter Beweis stellt.
“Die Entwickler haben Angst vor dem Neuen”
Es fällt auf, dass Höglmaiers Bauvorhaben immer von namhaften Architekten geplant werden, es geht ihm um architektonische Unikate, um den intensiven Dialog mit dem jeweiligen Ort, seiner Geschichte und Nachbarschaft. Die Berliner Thomas Kröger, Jürgen Mayer H. sowie Heide & von Beckerath gehören zu den ausgewählten Architekten, aus London David Adjaye und David Chipperfield, aus München Hild und K, aus Augsburg Titus Bernhard. Für Höglmaier beginnt die Freude am Entwickeln schon bei der Grundstücks- und Projektakquise durch sein Büroteam. Das Grundstück muss Potenzial für die angestrebte Wohn- und Arbeitswelt haben. Erst dann wird der geeignete Architekt in einem kleinen Auswahlverfahren ausgesucht, denn der soll auch „für die Ideen brennen“.
„Die Entwickler haben Angst vor etwas Neuem. Weil sie den Nutzer nicht vorher kennen, machen sie immer das, was schon immer funktioniert hat. Der Markt nimmt es notgedrungen ab, aber so entsteht keine Innovation. Etwas Neues zu wagen, ist aber nur vermeintlich ein Risiko. Nach unserer Erfahrung ist es besonders erfolgreich. Höglmaier hat bislang noch kein Projekt „in den Sand gesetzt“.
In München hat Euroboden das älteste Bauernhaus der Gemarkung, den 1751 erbauten Derzbachhofs in Forstenried vor dem Verfall gerettet und als Wohnhaus neu genutzt. Querfinanziert wird das aufwändige, von Peter Haimerl betreute Denkmalprojekt durch einen Neubau mit 16 Wohnungen nach den Plänen von raumstation Architekten. Es entsteht ein familienfreundliches, dörflich geprägtes Quartier mit hohem Wohnwert.
Bauen ist Produktion von Heimat
Stefan Höglmaiers eigenes Haus ist ebenfalls ein delikates Stück Denkmalpflege. In Schwabing ließ er 2014 einen ehemaligen Hochbunker durch raumstation Architekten in ein Wohnhochhaus umbauen, in dessen Penthouse er selbst einzog. Im Sockel eröffnete die von ihm gegründete Kulturinstitution BNKR, ein interdisziplinärer Ausstellungs-, Denk- und Ereignisraum.
Kaum überraschend, dass Höglmaier sich auch der Welt der Büroarbeit annimmt, wo es gilt, die Angebote so attraktiv zu gestalten, dass die Mitarbeiter sich wohlfühlen. Die Unternehmen neben dem klassischen Schreibtisch einen zweiten Lebensraum biete, abwechslungsreiche räumliche Erfahrungen, Austauschmöglichkeit mit Kollegen, Pausen- und Freizeitgestaltung, gemeinschaftliches Kochen, Sport und dergleichen.
Wie das aussieht, demonstriert Euroboden in München. „Hammerschmidt“ ist das Projekt benannt, eine „urbane Gebäudestruktur im Grünen“, sieben gestapelte Decks mit Glasfassaden. Ein „Rohling mit Soft Skills“, ein Betonrohbau also, der den Mietern die Freiheiten anbietet, ihre Einheiten individuell selbst zu gestalten.
Was das Haus zu bieten hat, sind informelle Treffpunkte, umlaufende Balkone und eine Dachlandschaft mit Fitnessmöglichkeiten sowie einer Freitreppe „mit Blick über die Münchner Skyline und Richtung Sonnenuntergang bis zu den Alpen“, wie es heißt.
Architekt Arno Brandlhuber aus Berlin ist bekannt für provokant raue Ästhetik und typologisch ziemlich originelle Bauten und hat in Berlin schon ein ähnliches Haus geschaffen. Mit seinem Münchner Ko-Architekten Muck Petzet hat Stefan Höglmaier schon mehrere preisgekrönte Bauten realisiert. Der Betonbau wirft aber auch Fragen nach der Nachhaltigkeit auf.
Euroboden hat auch Holzbauten im Portfolio, denn jedes Projekt wird individuell beurteilt und konzipiert. „Grundsätzlich ist es für mich unvorstellbar, dass die Gebäude, die wir bauen, einen kurzen Lebenszyklus haben. Sie müssen für die Ewigkeit gebaut sein“, formuliert Höglmaier seine Haltung. Hammerschmidt wird zwar nicht ewig stehen, aber es hat eine Primärbaustruktur mit hoher Flexibilität, die Wandelbarkeit in der Nutzung ermöglicht.
Bauen ist Produktion von Heimat und bedarf des gesellschaftlichen Verantwortungsbewusstseins der Handelnden. Stefan Höglmaier ist einer von jenen, die Leidenschaft für jedes einzelne Projekt und wirkliches Interesse für den Ort und die Menschen aufbringen. „Architektur zum Zusammenleben, Architektur gegen die Einsamkeit“, so nennt er das.