Die Macht der Supermarktgefühle
Michelle Zauner hat Recht behalten. Jahrelang waren ihre künstlerischen Ambitionen Grund für Streit zwischen ihrer Mutter und ihr. Jetzt hat Zauner es geschafft. Die Menschen wollen hören, was sie zu singen hat, und lesen, was sie schreibt. Ihre Mutter jedoch ist nicht mehr da. Sie ist vor sieben Jahren an Krebs gestorben.
Zauner hat diesen Abschied in Kunst verwandelt, in zwei Alben voller Trauer und in ein sehr persönliches Buch. Nun spürt sie: Es wird Zeit für ein neues Kapitel. Die mittlerweile 32-Jährige ist ins Studio gegangen, um unter dem Projektnamen Japanese Breakfast eine Platte über die Freude aufzunehmen: „Jubilee“, ihr drittes Soloalbum (Dead Oceans/Cargo).
Doch einfach den Schalter umlegen kann und will sie nicht, wie Zauner im Interview erklärt. „Auf dem Album geht es darum, wie man sich müht, wieder Freude zu empfinden, nachdem man zugesehen hat, wie sein Leben explodiert.“ So ist in vielen Songs das Ringen ums Glück spürbar. Das beginnt schon im Eröffnungsstück, das den schön irreführenden Namen „Paprika“ trägt. Da singt sie über den Rausch, den sie als Künstlerin empfindet: „Projecting your visions to strangers who feel it, who listen, who linger on every word – oh it’s a rush!“
Es dauert eine Weile, bis sie das erste Mal lacht
Diesen Gefühlssturm spiegelt auch der Sound wider. „Paprika“ überfordert fast, so viele Worte und Klangfacetten fluten herein. Erst zoomen sich die Synthies in den Song, dann marschieren die Drums, der Bass blubbert darüber, sogar Streicher- und Bläserarrangements hat Zauner hineingeschrieben. Im Laufe von „Jubilee“ ist sie an etlichen Instrumenten zu hören: Gitarre, Bass, Klavier, Synthesizer, Percussion – und dazu natürlich ihr Gesang, der irritierend spitz und kühl klingt. Wie ein Draht spannt er sich durch den massiven Sound.
Irritierend auch, weil sich ihre Stimme im Gespräch ganz anders anhört. Eher tief, fast ein bisschen knarrig. Etwa, als sie erklären soll, warum zum Teufel sie sich als US-Koreanerin Japanese Breakfast nennt – zumal Japan das Land ihrer Vorfahren einst besetzthielt. „Meine Großmutter bekam einen japanischen Namen verpasst und wurde auch gezwungen, Japanisch zu sprechen“, erzählt Zauner. Ihr selbst, als asian american, sei schon als Kind eingeimpft worden, keine japanischen Produkte zu kaufen.
So sah sie in dem Namen in erster Linie einen Weg, „die Leute ein bisschen zu verarschen“, wie sie sagt. Japanese Breakfast sei damals nur ein Seitenprojekt gewesen, neben ihrer Band Little Big League. Sie habe einfach Songs im Schlafzimmer geschrieben und sie hochgeladen. „Ich hätte mir nie ausgemalt, dass das Projekt die Zugkraft entwickelt, die es jetzt hat.“ Die Band gibt es längst nicht mehr.
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In Philadelphia ist es kurz nach neun Uhr am Morgen, als sie das Interview per Videoschalte gibt. Eigentlich lebt sie mittlerweile in New York. Zurück nach Philly, ihrer langjährigen Wahlheimat, ist sie zum Proben gereist. Passend zur Morgenstunde tritt sie eher zurückhaltend auf. Die schwarzen Haare hat sie nach hinten gebunden. Sie trägt sie ein weites, schwarzes T-Shirt, das den Blick auf die vielen Tattoos an ihren Armen freigibt. Es wird eine Weile dauern, bis sie das erste Mal lacht.
Man kann sich gut vorstellen, dass es dieser Musikerin leichter fällt, nachdenkliche Songs zu schreiben. Umso überraschender klingt „Be Sweet“: So sonnigpoppig und funky. Dazu ein lebenshungriger Text: „I can feel the night passing by like a mistake waiting for me.“ Der Bass drückt, die Synthies flirren, Gitarrenlicks lassen keinen Zweifel, dass sich „Be Sweet“ auch gut als Anfangsmelodie für eine Eightes-Serie gemacht hätte. Im Video hat sich Michelle Zauner, die ihre Musikclips seit jeher selbst dreht, jedoch für eine Neunziger-Referenz entschieden: die Serie „Akte X“. Sie inszeniert sich als FBI-Agentin, die mit gewaltiger Perücke auf Alienjagd geht – stets bereit, sich mit vollem Körpereinsatz in Pose zu werfen.
Auch die Single „Posing In Bondage“ hat Zauner in eine stimmige Bildsprache übersetzt. Als traurige Vampirin mit blutverschmiertem Mund rollt sie nachts auf einem Hoverboard in einen Supermarkt. Ihre Lebensgeister werden erst geweckt, als die Kassiererin sie mit Nudeln füttert. Das Lied ist eine sehr spezielle Erklärung der Hingabe: „Can you tell I’ve been posing this way alone for hours? Waiting for your affection.“ Wie Zauner so in den elektrostatischen Nebel haucht, weckt das Erinnerungen an The XX. Dann wuchtet der Beat hinein und es zieht einen vollends in die funkelnde Finsternis.
Zeilen von erschütternder Intimität
Mit den Bildern des Supermarktes schlägt sie eine Brücke zu ihrem Buch „Crying in H Mart“, das kürzlichen in den USA erschienen ist. Darin beschreibt sie, wie die asiatisch geprägten US-Supermärkte für sie zum Pilgerort geworden sind auf der Suche nach dem koreanischen Teil ihrer Identität – und nach Erinnerungen an ihre Mutter. „Das Buch ist im Prinzip eine einzige lange Trauerrede.“
So sehr die Künstlerin ein neues Kapitel aufschlagen will, so sehr ist ihre Mutter auch auf „Jubilee“ präsent. Im Song „In Hell“ erinnert sich Zauner an den Moment, als die Ärzt:innen das Leben der Schwerkranken enden ließen: „I cried and cried and at my signal they stopped your heart and then you died.“ Zeilen von erschütternder Intimität. Stört es sie nicht, diese Erinnerungen mit der Öffentlichkeit zu teilen? Zauner zögert. Aufgrund der Pandemie sei sie noch nicht richtig zurück in der Welt gewesen, sagt sie.
„Ich denke, es wird schwerer werden als zuvor – auf eine Art und Weise, die ich nicht vorhergesehen habe.“ Wenn so ein Leben in Scherben liegt, dauert es eine Weile, bis man es wieder zusammengesetzt hat.