Pasolini lebt im italienischen Kino weiter
„Viel wurde erzählt von Luciano. Er sei ein Adliger gewesen, ein Säufer.“ Eine Legende ist Ausgangspunkt von Alessio Rigo de Righi und Matteo Zoppis’ „The Tale of Crab King“: Ende des 19. Jahrhunderts zieht Luciano saufend durch die Umgebung von Vejano. Als der örtliche Feudalherr verkündet, die Passage um das Schloss über Nacht mit einem Tor zu verschließen, lehnt Luciano sich auf. Nach zwei Dokumentarfilmen sind de Righi und Zoppis zum Spielfilm gewechselt und dabei der Welt bäuerlicher Mythen treu geblieben. Während das ländliche Leben sich gewandelt hat, sind die Gesänge, in denen die Mythen bewahrt werden, immer noch dieselben.
„The Tale of Crab King“ läuft am Samstag im Arsenal als Teil einer Filmreihe, die sich vorgenommen hat, das zeitgenössische Kino in Italien zum Werk Pier Paolo Pasolinis, der am 5. März seinen 100. Geburtstag feiern würde, in Bezug zu setzen. De Righi und Zoppis nehmen Pasolinis Hinwendung zum bäuerlichen Leben auf, brechen jedoch mit dessen Deutung als archaischem Gegenpol zur Moderne. Ihr Film entstand unweit der Orte, an denen dieser 1966 „Große Vögel, kleine Vögel“ drehte, welcher ebenfalls im Arsenal läuft.
Der italienische Süden als bukolischer Ort
Acht junge Menschen, die sich zwischen einem Baum und einer Mauer verteilen. Das Bild aus „Futura“ wirkt gestellt, die Art, wie sich die einzige junge Frau im Bild auf einem Holzstapel hält, kann nicht bequem sein. „Kann mir jemand sagen, wo wir sind?“, fragt der Regisseur aus dem Off. „In Danisinni“, kommt kurz angebunden die Antwort eines Jugendlichen. „Und wo befinden wir uns?“ – „In Palermo.“ Drei Fragen später endet das Geplänkel. „Die Zukunft, was ist das für euch?“ Verlegen gehen die Blicke nach unten, die Augen weichen der Kamera aus. Kurz bevor die Pandemie die Welt in den Griff nahm, sind Alice Rohrwacher („Glücklich wie Lazarro“), Francesco Munzi und Pietro Marcello („Martin Eden“) losgefahren, um junge Italiener:innen über ihren Blick auf die Zukunft zu befragen.
1963 reist Pasolini für seinen Dokumentarfilm „Gastmahl der Liebe“, um seine Landsleute zu ihren Rollenvorstellungen und ihrer Haltung zur Sexualität zu interviewen. In einer sizilianischen Stadt fragt Pasolini eine junge Frau, warum es, anders als im Norden, im Süden so schwer sei, Frauen zur Teilnahme an den Gesprächen zu bewegen. „Das ist nicht kompliziert, aber die Jungs machen immer Sprüche“, lacht sie verlegen.
Trotz des gemeinsamen Motivs des Reisens und Befragens könnten die Filme aber kaum unterschiedlicher sein. Hier der plauderige Tonfall in „Futura“, dort die zielgerichteten, teils bohrenden Fragen Pasolinis. „Futura“ ist das interessante Porträt einer Generation, eine facettenreiche Bestandsaufnahme des Italiens der Gegenwart, doch der Bezug zu Pasolinis Werk wirkt eher gewollt.
(Kino Arsenal, 4. bis 29. März)
„Oh, Fenster, das leuchtet / doch nicht länger strahlt, / als Zeichen, dass meine Geliebte / krank darnieder liegt.“ Das neapolitanische Lied „Fenesta che lucive“ erklingt etwa in der Mitte von Pietro Marcellos „Bella e perduta“ („Lost and Beautiful“), es evoziert wie kaum ein anderes Lied eine Vorstellung des italienischen Südens als bukolischem Ort. Pasolini verwendete es gleich dreimal: in seinem Debüt „Accattone“, später in zwei Filmen der „Trilogie des Lebens“. In Marcellos pastoralem „Bella e perduta“ fungiert „Fenesta che lucive” als Vorahnung auf das Schicksal seines Protagonisten, einem kampanischen Büffel, der nach dem Tod seines Besitzers durch das archaische Land in Richtung Norden zieht.
Die Reihe versammelt eher freie Assoziationen zu Pasolinis Werk. Nicht immer sind die Bezüge zu den Filmen der Gegenwart zwingend – oder nur aufrecht zu erhalten, wenn man Pasolini entpolitisiert und sein Werk rein ästhetisch versteht. Dennoch ist die Spurensuche anregend, weil sich unter den Filmen der Gegenwart einige der interessantesten wiederfinden, die in den vergangenen Jahren in Italien produziert wurden.