Die deutsche Leichtathletik trifft das gebündelte Unglück
Wäre schön gewesen. Wenn der fulminante Werfer Johannes Vetter seinen Speer weit, weit in den Braunschweiger Himmel befördert hätte. Mittelstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen im Eintracht-Stadion auf Rekordjagd gegangen wäre. Gina Lückenkemper, Deniz Almas und Kevin Kranz mit heißen Sohlen über die Tartanbahn gesprintet wären. Oder Christina Schwanitz und David Storl ihre Kugeln mit viel Wucht auf den Rasen gestoßen hätten.
Doch sie alle und noch viele mehr werden bei den Leichtathletikmeisterschaften an diesem Wochenende in Braunschweig nicht dabei sein.
Die Veranstaltung sollte ein Höhepunkt im Rahmen der sogenannten Finals sein, des gebündelten Meisterschaftsformats, das in diesen Tagen in Berlin, Nordrhein-Westfalen und eben in Braunschweig stattfindet. Aber die olympische Kernsportart Leichtathletik, die sich nach der Pandemie-Pause so sehr sehnt nach großen Wettkämpfen, muss ohne viele ihrer Stars auskommen.
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Sie sei besorgt, sagte Annett Stein vor wenigen Tagen. Die Chefbundestrainerin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) hat nicht mehr viel Zeit, um eine konkurrenzfähige Auswahl für Tokio zusammenzubekommen. Noch sieben Wochen sind es, bis die Olympischen Spiele in Japan beginnen.
Aktuell sieht es nicht nach einem Medaillenregen für die Leichtathleten in Fernost aus. Im Gegenteil, in der deutschen Leichtathletik geht die Angst um, dass in diesem Jahr historisch wenig gehen könnte.
Rückenprobleme und Muskelverletzungen
So leidet Klosterhalfen, sicher eine der größten Medaillenhoffnungen, derzeit an Rückenproblemen. Selbiges beklagt auch der zweimalige Kugelstoß-Weltmeister David Storl, der aber ohnehin in den vergangenen Jahren nicht mehr mit der internationalen Spitze mithalten konnte.
Ähnliches gilt für die Sprinterin Gina Lückenkemper. Die 24-Jährige hatte zuletzt viel mit Verletzungen zu kämpfen. Aktuell bremst sie eine Muskelverletzung aus. Auch für sie wird die Zeit in Richtung Tokio knapp.
Andere Hoffnungsträgerinnen und -träger werden bei Olympia ganz sicher nicht dabei sein. Dazu zählt zum Beispiel die Hürdensprinterin Cindy Roleder, die nach der Geburt ihres Kindes eine längere Pause einlegt. Zehnkämpfer Arthur Abele, Europameister von 2018, musste bereits wegen einer Schulterverletzung absagen. Und der Sprinter Kranz, Überraschungszweiter bei den Halleneuropameisterschaften in diesem Jahr in Torun, kommt wegen einer Oberschenkelverletzung für Tokio nicht in Frage.
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Es scheint wie verhext: Die Leichtathleten haben kein Glück, und dann kommt auch noch Pech hinzu. Ein gutes Beispiel dafür ist Christina Schwanitz. Die Kugelstoßerin ist im Grunde fit, aber nach ihrer Reise zum Diamond-League-Meeting in Gateshead in England befindet sie sich dort in Quarantäne.
Tokio statt nationale Titel
Die deutsche Leichtathletik ist ohne Zweifel schlechtmöglichst aus den Startlöchern nach der Pandemie-Pause gekommen. Doch trotz all des gebündelten Unglücks, das die Athletinnen und Athleten zu treffen scheint, gibt es hier und da auch Anlass zur Hoffnung.
So absolvierte Hindernisläuferin Gesa Krause eigener Aussage zufolge eine gelungene Vorbereitung auf die Saison. Sie befinde sich in einer sehr guten Form und wolle diese auch in Braunschweig bestätigen.
Apropos Frühform, diese war zuletzt geradezu herausragend bei Speerwerfer Johannes Vetter. Mit der Weltjahresbestleistung von 96,29 Metern ist er der Goldfavorit für Tokio. Sein Verzicht auf die Teilnahme bei den deutschen Meisterschaften wegen leichter Muskelprobleme ist eine Vorsichtsmaßnahme.
Ähnlich dürfte der Fall auch bei Konstanze Klosterhalfen gelagert sein. Die Mittel- und Langstreckenläuferin lebt und trainiert in den USA. Eine Reise für die deutschen Meisterschaften nach Braunschweig ist für sie im Hinblick auf den Saisonplan mit dem Höhepunkt Olympische Spiele ziemlich ungünstig.
Auch im vergangenen Jahr hatte sie wie einige andere deutsche Athletinnen und Athleten auf die nationalen Titelkämpfe verzichtet. Vetter hatte damals noch das Fernbleiben etlicher Leichtathletik-Stars kritisiert. Dieses Jahr also fehlt er selbst – damit er in Tokio dem deutschen Team möglichst Gold beschert.