Der erste Spielfilm unter israelisch-iranischer Regie: Freiheitskampf auf der Judomatte

Sie törnt sich mit Hip-Hop an, wedelt mit den Armen, boxt in die Luft: Leila (Arienne Mandi) ist unentwegt in Bewegung. Die iranische Judoka will Gold holen bei den Weltmeisterschaften in Tiflis, sie ist gut, sehr gut, die Sportmoderatoren im Radio sind begeistert. Eine Kämpfernatur, eine Kriegerin mit Hidschab. Zuhause in Teheran fiebern die Freunde vor dem Fernseher mit; Maryam, ihre Trainerin (Zar Amir), feuert sie im Stadion mit Aggrosprüchen an.

Kantige Gesten, handfeste Körperlichkeit (wobei Arienne Mandi sich nicht doubeln lässt), Montage-Schnitte wie Handkantenschläge: Der Schwarz-Weiß-Film spielt fast komplett im Stadion, einem klaustrophobischer Ort voller dunkler, verschatteter Flure. Die Kamera kämpft mit auf den Tatamimatten, gerät mit Leila außer Atem.

Als die Judoka kurz vor dem Viertelfinale steht, weiß sie noch nicht, dass Maryam am Telefon terrorisiert wird. Aber die Trainerin muss es ihr bald mitteilen: Leila soll aufhören, eine Verletzung vortäuschen, so die Ansage aus dem Iran. Denn es besteht die Gefahr, dass sie im Finale gegen Israel antreten muss. Auf der Matte mit einer Regimegegnerin, womöglich von ihr besiegt werden? Der iranische Judo-Verband muss das verhindern, Befehl von ganz oben.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Aber Leila macht weiter, Landesverrat hin oder her. Sie schlägt Maryams Warnungen in den Wind, gehorcht auch nicht, als die Sicherheitspolizei die Familie in Teheran schikaniert und die Eltern verhaftet. Nader (Ash Goldeh), ihrem solidarischen Ehemann, gelingt in letzter Sekunde die Flucht mit dem kleinen Sohn. Nie wieder nach Hause? Das Sportdrama mutiert zum Politthriller.

„Tatami“ basiert auf wahren Geschichten. Die iranische Boxerin Sadaf Khadem wurde nach einem Wettkampf bedroht und blieb in Frankreich; die Sportkletterin Elnaz Rekabi trat bei den Asienmeisterschaften 2022 ohne Kopftuch an und wurde wohl massiv unter Druck gesetzt; bei den Olympischen Spielen in Paris kämpfen Iranerinnen im Geflüchteten-Team.

Mit blutiger Stirn

Die georgisch-amerikanische Produktion ist der erste Spielfilm unter israelisch-iranischer Ko-Regie. Guy Nattiv („Golda“) aus Israel lebt in L.A., die iranische Schauspielerin Zar Amir (die sich bisher Zar Amir Ebrahimi nannte) im Exil in Paris. Für ihre Hauptrolle im Frauenmordthriller „Holy Spider“ hatte sie in Cannes die Goldene Palme gewonnen, jetzt steht sie erstmals vor und hinter der Kamera.

Das Drehbuch entstand vor Beginn der iranischen Frauenaufstände, vor dem gewaltsamen Tod von Mahsa Amini. Aber es könnte aktueller nicht sein: Unter dem Dilemma, sich zwischen Freiheit, Karriere und der Unversehrtheit der Liebsten entscheiden zu müssen, zwischen Repression und dem Heimatverlust im Exil, leiden heute unzählige mutige Frauen und Oppositionelle im Iran.

Leila schlägt sich die Stirn blutig. Ihre Wut kann sie immerhin in sportlichen Kampfgeist ummünzen. Gleichzeitig setzt sie jedoch ihre Existenz aufs Spiel, und auch Maryam muss sich entscheiden.

Slowmotion, emotionalisierende Rückblenden, die blutige Stirn: „Tatami“ illustriert manchmal überdeutlich. Der Satz des Sportkommentators, dass Leila um ihr Leben kämpft, bräuchte nicht mehrfach wiederholt zu werden. Und die erst zögerliche, dann entschlossene Unterstützung durch die WJA-Präsidentin und die Turnierleiterin Stacey nimmt sich ein wenig so aus, als müsse der Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft für Irans Frauen gewürdigt werden. Die Realität sieht anders aus, von Anna-Lena Baerbocks einst proklamierter feministischer Außenpolitik ist nicht mehr viel übrig.

Umso wichtiger, dass „Tatami“ an die Realität der Frauen im Mullah-Regime erinnert. Und das ausgerechnet im gemeinsamen Film eines Israelis und einer Iranerin, jetzt, wo die Lage zwischen ihren Ländern dramatisch zu eskalieren droht.