Warum die Weltrekorde in Tokio auch an der Laufbahn liegen
Vermutlich ärgert sich in diesen Tagen der Weltrekordsprinter Usain Bolt ein wenig. Wäre er doch bloß ein paar Jahre später geboren. Dann würde er jetzt, in der Hochphase seines Schaffens, noch ganz andere Zeiten laufen. Seine Bestzeiten im Sprint lägen dann nicht bei 9,58 Sekunden über 100 Meter oder bei 19,19 Sekunden über 200 Meter. Sondern noch zwei bis fünf Zehntel darunter.
Das sind hypothetische Überlegungen. Aber abwegig sind sie nicht. Es vergeht derzeit in Tokio kaum ein Tag, an dem sich Athletinnen und Athleten nicht die Augen reiben und mit offenem Mund auf die Anzeigetafel blicken.
Am Dienstag war schon vom besten Rennen der olympischen Geschichte die Rede. Der Norweger Karsten Warholm lief über 400 Meter Hürden in 45,94 Sekunden durchs Ziel, 76 Hundertstel unter seinem eigenen Weltrekord. Der Zweite, Rai Benjamin aus den USA, lief in 46,17 Sekunden die zweitschnellste je gelaufene Zeit in dieser Disziplin.
Einen Tag später, am Mittwoch, wiederholte sich das Ganze bei den Frauen. Die US-Amerikanerin Sydney McLaughlin verbesserte ihren eigenen Weltrekord über 400 Meter Hürden um 44 Hundertstel und raste in 51,46 Sekunden ins Ziel. Das nächste beste Rennen der olympischen Geschichte.
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Einer der Gründe für die Fabelzeiten soll die Laufbahn sein. Die italienische Firma Mondo entwickelte sie. Wahre Wunderdinge werden über den Belag erzählt. Er soll Stoßdämpfung und eine Energierückgabe ermöglichen. Das Ganze habe einen Trampolineffekt, erklärte der Mondo-Entwickler Andrea Vallauri der „New York Times“.
Derlei technische Feinheiten kennt man in der Leichtathletik bislang vor allem bei Laufschuhen. Auch die Weltrekordläuferin McLaughlin zeigte sich begeistert: „Manche Bahnen absorbieren einfach den Aufprall und die Bewegung. Diese hier regeneriert sie und gibt sie zurück.“
„Sprinter und Kurzstreckenläufer mögen harte Bahnen“
Dominik Bach sieht den Hype um die Bahn etwas anders. Das könnte daran liegen, dass er zur Konkurrenz von Mondo gehört. Bach arbeitet für Regupol, einer Firma aus Deutschland, die wiederum einen kleinen Anteil an den Fabelzeiten von Usain Bolt haben könnte. Regupol produziert unter anderem Lauf- und Spielfeldböden. So stammt die Laufbahn im Berliner Olympiastadion, auf der Bolt seine Weltrekorde erzielte, von dem Unternehmen aus Bad Berleburg.
„Unser Ansatz ist es, die Bahn eher etwas weicher und ausgewogener auszulegen“, sagt Bach. Das schade den Zeiten nicht, wie die Weltrekorde im Berliner Olympiastadion zeigten. „Dafür schont es den Bewegungsapparat der Athleten.“
Der Untergrund in Tokio dagegen ist sehr hart. Dies hängt mit der Verschiebung der Spiele zusammen. Die UV-Einstrahlung lässt das Material erhärten. Usus war bislang vor Olympia, dass der Belag anders als jetzt in Japan meist ganz neu und damit weicher war.
„Sprinter und Kurzstreckenläufer mögen harte Bahnen“, sagt Bach. „Denn sie stehen im Ruf, schnelle Zeiten zu ermöglichen.“ Bei wissenschaftlich begleiteten Vergleichsmessungen sei das jedoch nicht festgestellt worden. Mondo-Rivale Bach behauptet: „Die teils fabelhaften Zeiten in Tokio sind daher wohl eher auf die viel beachtete neue Schuhgeneration zurückzuführen als auf die Bahn.“
Tatsächlich hat es in Tokio auch Klagen von Athletinnen und Athleten gegeben. Der französische Sprinter Jimmy Vicaut sagte der „New York Times“, dass das Training auf der Bahn zu gefährlich sei. Man könne sich darauf schnell eine Muskelverletzung zuziehen. Auch die Britin Dina Asher-Smith äußerte sich unzufrieden über den Untergrund. Dieser habe ihre Verletzungen verschlimmert.
Bei der Firma Mondo wischt man jegliche Bedenken weg. Die Italiener verweisen schlicht und einfach darauf, dass ihre Bahnen die schnellsten seien. Mehr als die Hälfte aller Weltrekorde in der Leichtathletik seien in den letzten 20 Jahren auf Mondo-Belägen erzielt worden, teilte das Unternehmen jüngst mit. Dominik Bach kann sich zumindest damit trösten, dass die Rekorde von Bolt noch stehen.