Als Kafka einmal lachen musste: Neue Comics zum 100. Todestag des Schriftstellers
Dass er einmal zu den größten Autoren aller Zeiten zählen würde, hätte Franz Kafka selbst wohl am wenigsten vermutet. Hatte er doch zeitlebens mit starken Selbstzweifeln zu kämpfen und wollte, dass seine Werke nach seinem Tod verbrannt werden. Zum Glück für die Nachwelt ist sein Freund Max Brod diesem Wunsch nicht nachgekommen. Und so werden Kafka und sein Werk weit über Lebzeiten hinaus geehrt, erst recht zum Anlass seines 100. Todestags am 3. Juni.
Die ARD hat Anfang des Jahres eine sechsteilige Serie über Kafka ausgestrahlt, derzeit ist im Kino noch der Film „Die Herrlichkeit des Lebens“ zu sehen, über die Beziehung zu seiner letzten Geliebten Dora Diamant. Dazu kommen Ausstellungen, Tagungen, Lesungen sowie etliche Publikationen. Und mehrere Comics.
Ganz in Kafkas Sinne dürfte es wohl kaum gewesen sein, dass seine Werke in Bilder übersetzt werden. Schließlich hatte er kurz vor der Veröffentlichung der Erzählung „Die Verwandlung“ im Jahre 1915, als es um die Gestaltung des Buchumschlags ging, betont: „Das Insekt selbst kann nicht gezeichnet werden. Es kann aber nicht einmal von der Ferne aus gezeigt werden!“
Angesichts der bildmächtigen Sprache und der bizarren Welten, die Kafka in seinen Werken erschafft, kann man es den zahlreichen Comickünstler:innen aber nicht verübeln, dass sie dennoch eine grafische Adaption gewagt haben.
Die Bandbreite künstlerischer Herangehensweisen an Kafka und sein Werk ist groß. Bereits in der Vergangenheit sind sehr unterschiedliche Comic-Adaptionen entstanden. Zu nennen wären unter anderen „Die Verwandlung“ (Corbeyran / Horne, 2010), „The Metamorphosis“ (Kuper, 2003), „Das Urteil“ (Stetter, 2015) oder „The Trial“ (Montellier, Mairowitz, 2008). Rund um Kafkas 100. Todestag kommen nun mehrere neue dazu.
Beklemmende Bilder
In seiner Graphic Novel „Wie ein Hund“ (Avant-Verlag, 104 Seiten, 22 Euro) adaptiert Comickünstler Daniel Žeželj Kafkas Erzählung „Ein Hungerkünstler“ und bettet mehrere kurze Erzählungen, Tagebucheinträge sowie Ausschnitte aus Kafkas Romanen mit ein.
Dass er diese nicht klar voneinander trennt, sondern ineinanderfließen lässt, macht den Reiz des Bandes aus. Die Textpassagen sind reduziert, somit können die Bilder ihre volle Wirkung entfalten. Und das lohnt sich. Denn Žeželjs raumgreifende und detailreiche Schwarz-Weiß-Grafiken erzeugen eine Düsternis, die Kafkas Erzählungen mehr als gerecht wird, und die dennoch als eigenständige Werke neben den Ursprungstexten bestehen können.
Eine eigenwillige Spannung entsteht, wenn Žeželj den Hungerkünstler hocherhoben auf einem Podest weit über den Menschenmassen zeigt. Bewundernd betrachten sie ihn, der dort oben ein wenig verloren dasteht. Feierlich ist die Atmosphäre indes nicht, vielmehr bewirken die Bilder ein Gefühl der Beklemmung.
Die deutliche Distanz zum Publikum weist bereits darauf hin, dass die Menschen nicht dauerhaft zu ihm halten, ihre Ehrerbietung für den Hungerkünstler von begrenzter Dauer ist. Aber auch als die Massen das Interesse an ihm verlieren, bleibt er seiner Überzeugung treu und landet schließlich in einem Zirkus. In einem Käfig vollführt er die Kunst des Hungerns weiter.
Die Seiten- und Panelgestaltung des kroatisch-stämmigen Illustrators ist dynamisch und abwechslungsreich. Es ist ein mitreißendes Spiel der Perspektiven. Etwa wenn aus dem Blickwinkel des Hungerkünstlers, der seinen Kopf zur Seite geneigt hat, das vor dem Käfig stehende Publikum zu sehen ist.
Schmale, langgezogene Panels wiederum zeigen im wortwörtlichen Sinne den in die Enge getriebenen Hungerkünstler, der sich mit seiner Kunst nicht mehr gesehen fühlt. „Warum hatte diese Menge, die ihn so sehr zu bewundern vorgab, so wenig Geduld mit ihm? Wenn er es aushielt, noch weiter zu hungern, warum wollte sie es nicht aushalten?“, heißt es.
Aus der Vogelperspektive sowie aus einer Seitenansicht ist ein in sich gekehrter Hungerkünstler zu sehen, der widerwillig auf die üppig gedeckte Tafel vor ihm blickt. Denn der Impresario legte in der Regel fest, dass dem Hungern nach 40 Tagen ein Ende gesetzt werden sollte.
Dazu kommen beeindruckende großformatige bis ganzseitige Bilder, in denen eine beinahe gespenstische Ruhe entsteht. Sie zeigen den Protagonisten allein in einem heruntergekommenen Gebäude oder legen den Blick frei auf finstere Landschaftsszenerien.
Imposant sind auch die urbanen Perspektiven mit ihren riesigen, verwinkelten Häuserfronten, die eher abschreckend als einladend wirken. Das trifft auch auf die Treppen und das gigantische Tor zu, in Anlehnung an Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“. Die Bilder mit ihrer düsteren, angsteinflößenden Atmosphäre entfalten zugleich einen eigenartigen Sog.
Informativ und umfassend
Während Danijel Žeželj mit seiner expressiven Bilderwucht absolut überzeugt, kommt „Verwandelt: Franz Kafka – Leben Lieben Literatur“ (Knesebeck, 128 Seiten, 24 Euro) von Thomas Dahms und Alexander Pavlenko etwas brav daher.
Ein künstlerischer Ansatz, der eine eigene Interpretation zulässt, wird zu wenig gewagt. Der Anspruch der Comickünstler scheint im Wesentlichen in der Vollständigkeit zu liegen. Dadurch ist die Graphic Novel über Kafkas Leben und Wirken zwar informativ und umfassend, wirkt aber an vielen Stellen zu überladen. Denn immer wieder dominieren ganze Textblöcke die Seiten.
Auch die Comic-Biografie von David Zane Mairowitz und Robert Crumb, die unter dem Titel „Kafka“ bereits 1993 erschienen ist, behandelt Kafkas Leben und sein literarisches Werk in aller Ausführlichkeit in detaillierten Schwarz-Weiß-Zeichnungen. Der Reprodukt-Verlag hat den Comic dieses Jahr in einer Neuauflage als Taschenbuch herausgebracht (176 Seiten, 9,90 Euro).
Kafkas humoristisches Potenzial
Einen wesentlichen freieren Umgang mit Kafkas Biografie und Texten pflegt dagegen Nicolas Mahler mit „Komplett Kafka“ (Suhrkamp, 127 Seiten, 18 Euro). Ein gewagtes Experiment, das gelingt. Bereits das Cover mit einem schmächtigen, bedröppelt dreinblickenden Kafka, dessen charakteristische Züge leicht auszumachen sind, verrät einen humoristischen Zugang. Ergänzend dazu hat Mahler den Band „Kafka für Boshafte“ (Suhrkamp, Insel Taschenbuch, 127 Seiten, 12 Euro) veröffentlicht, mit ausgewählten Texten von Kafka und witzigen Zeichnungen versehen.
Der österreichische Comickünstler hat bereits zahlreiche Literaturadaptionen als Comic veröffentlicht, darunter „Der Mann ohne Eigenschaften“ von Robert Musil oder „Alte Meister“ von Thomas Bernhard, und ihnen einen lustigen Anstrich verliehen.
Mit seiner aktuellen Graphic Novel „Komplett Kafka“ versucht er nun, Kafkas humoristisches Potenzial herauszukitzeln. Dafür hat er dessen Romane und Erzählungen, Briefwechsel und Tagebucheinträge unter die Lupe genommen. Und tatsächlich soll Kafka hin und wieder gelacht haben, auch wenn Max Brod einwendete: „Gewiss, es war kein durchaus gutes, behagliches Lachen. Aber eine Komponente guten Lachens war mit dabei.“
Anders als Mahlers vorherige Comics ist Komplett Kafka deutlich textlastiger. Dabei ist erstaunlich, dass die Textpassagen, die er auf das Wesentliche beschränkt und mit ironischen Kommentaren versehen hat, trotz der umfangreichen Informationen zu Kafkas Leben und Schaffen Leichtigkeit aufkommen lassen. Etwa, wenn Mahler schildert, wie sehr Kafka lachen musste, als er aus seinem eigentlich düsteren Roman „Der Process“ vorlas. Seine mit wenigen Strichen angefertigten Zeichnungen sind pointiert und urkomisch.
Auch die Figur des Vaters darf nicht fehlen. Schließlich nimmt dieser in den Werken des in Prag geborenen Schriftstellers eine entscheidende Rolle ein. Insbesondere im berühmten „Brief an den Vater“, den er dem Adressaten nie überreicht hat, setzt sich Kafka mit seiner Beziehung zu seinem dominanten, übermächtigen Vater auseinander.
Mahler zeichnet diesen mit dicken, schwarzen Strichen als riesigen, grobschlächtigen Koloss neben dem der kleine Franz, kaum mehr als eine schmale Linie, als fipsiges Männlein erscheint. Damit bringt er Kafkas Versagensgefühle sowie dessen Misstrauen gegenüber dem eigenen Körper überspitzt auf den Punkt.
Mahler gelingt es auch, weniger bekannte Facetten von Kafkas Persönlichkeit ans Licht zu bringen: Zum Beispiel, dass er sich zuweilen als ganz und gar nicht charmant erwies. So äußerte er sich in einem Brief an die gemeinsame Freundin Grete Bloch abfällig über die Zähne seiner Verlobten Felice Bauer.
Mahler karikiert Kafkas Verlobte später als monströses Wesen mit Riesenzähnen, das dem als armseliges Würmchen erscheinenden Kafka entgegenbrüllt: „Ich weiß, was du über meine Zähne denkst!!!“
Fast möchte man meinen, dass Felice in ihrer einschüchternden Dominanz hier die Rolle des Vaters einnimmt. Das wäre wahrlich ein neuer Interpretationsansatz. Und würde neben all seinen anderen Einwänden erklären, warum Kafka während der jahrelangen On-Off-Beziehung mit Felice Bauer immer wieder vor einer Hochzeit zurückschreckt.
Die unterschiedlichen künstlerischen Stile und grafischen Deutungen zum 100. Todestag zeigen einmal mehr, wie vielschichtig und relevant Franz Kafkas Leben und Werk noch immer ist. Und dass es auch in den nächsten 100 Jahren wert ist, sich damit zu befassen.