Heldin des feministischen Films: Die Deutsche Kinemathek feiert Claudia von Alemann
Claudia von Alemann liebt es, Landschaften, Häuser und Straßen in ihren Filmen wie Resonanzräume des Unterbewussten zu zeigen. Immer ist da auch ein leise eindringlicher Sound aus Geräuschen, Stimmen und neuer Musik präsent, eine zurückhaltende Mixtur aus naturbelassenen Klangwelten und präzise gesetzter Instrumentalmusik. Pausen im Erzählfluss entstehen, Assoziationen werden geweckt.
Der lichtgrüne Dorfteich in ihrem autobiografischen Essay „Wie nächtliche Schatten“ (1991) oder die steilen Gassen der Seidenweberquartiere in ihrem Spielfilm „Die Reise nach Lyon“ (1978/80) bleiben frei von jeglichem Kitschverdacht ein außergewöhnliches Kinoerlebnis.
Impressionen sind nicht alles in Claudia von Alemanns Werk. Aus Anlass ihres 80. Geburtstags widmet sich eine Filmreihe der Deutschen Kinemathek in drei Kinos einer großen Zahl ihrer Spiel- und Dokumentarfilme aus mehr als fünf Jahrzehnten.
Unter dem schönen Titel „Das nächste Jahrhundert wird uns gehören“ finden sich darunter auch Beispiele ihrer mit viel Verve gedrehten politischen Filme, vor allem jene, die für ihr lebenslanges Interesse an den ungelösten Fragen weiblicher Emanzipation stehen und Claudia von Alemann zu einer der bedeutendsten Regisseurinnen des feministischen Films machen.
Märchen, Spukgeschichten und Traumbilder bilden eine Spur, auf denen die Regisseurin, Autorin, Produzentin und langjährige Filmprofessorin seit ihren Anfängen als eine der ersten Frauen an der legendären Ulmer Hochschule für Gestaltung ihre eigenwillige Form des Geschichtenerzählens entwickelte.
Frühe Leidenschaft für die Happening- und Fluxus-Kunst und die Musik-Szene um Karlheinz Stockhausen und John Cage in Köln, wo Claudia von Alemann aufwuchs, prägten ihre cineastische Handschrift ebenso wie ihr Studium der Kunstgeschichte in Berlin. Die akademische Begriffsbesessenheit dort spornte sie an, sich ohne finanzielle Absicherung fürs Filmemachen in Ulm zu bewerben, wo sie 1964 an einem nebligen Tag, so die schöne Anekdote, wie ein einsamer Westernheld am verlassenen Bahnhof aus dem Zug stieg.
Improvisation, intensive Wahrnehmung und minimalistische Dramaturgie waren die Zaubermittel der Ulmer um Alexander Kluge und Edgar Reitz, mit denen sie den deutschen Film neu erfinden wollten. „Sich in Bildern zu erinnern, heißt ein wenig, die Zensur aufzuheben, die der in Worte gefasste Gedanke ausübt“, schrieb Claudia von Alemann über ihren Abschlussfilm Fundevogel (1967).
Märchen der Gebrüder Grimm
Darin spielen die Kinder des Hochschulrektors Otl Aicher und seiner Frau Inge Aicher-Scholl, einer Schwester von Sophie Scholl, in einem Bunker im Wald, während aus dem Off das gleichnamige düstere Märchen der Brüder Grimm gelesen wird. Der Schauplatz, ein ehemaliges KZ-Außenlager, war als Topos für das Leugnen der Verstrickung in den Nationalsozialismus bewusst gewählt.
Die eigene Familiengeschichte anzusprechen, gelang der Filmemacherin erst spät in zwei Essayfilmen, darunter „War einst ein wilder Wassermann“ (2000). Ihre 86-jährige Mutter öffnet sich beim ersten Besuch in der thüringischen Heimat ihren Fragen und erzählt, wie überzeugt sie als junge Adlige von Hitler war, gerade weil ihr Milieu den Aufsteiger verachtete.
Die allgegenwärtige Verdrängung reizte Claudia von Alemann zur Provokation. Sie engagierte sich in Aktionen gegen die Notstandsgesetzgebung, drehte beim Filmfestival Exprmntl 4 im belgischen Seebad Knokke 1967 die surrealistischen Happenings, mit denen der Nachwuchs seinen Anspruch auf eine linke neue Kunst proklamierte und befragte 1968 in „Das ist nur der Anfang – der Kampf geht weiter“ Menschen aller Schichten, auch Jean-Luc Godard, nach der Rolle der Kunst bei den Straßenkämpfen in Paris.
1973 prangerte sie in dem heimlich gedrehten Film „…es kommt darauf an, sie zu verändern“ die monotone, systematisch unterbezahlte Frauenarbeit in der Metallindustrie an. Beim ersten, mit Helke Sander gemeinsam organisierten Frauenfilmfestival in Berlin, debattierten 1973 Filmemacherinnen aus aller Welt ihre miserablen Arbeitsmöglichkeiten, weil TV-Redaktionen und Filmförderer feministische Filmstoffe blockierten.
Unter Claudia von Alemanns dennoch realisierten Filmen ragt der Spielfilm „Die Reise nach Lyon“ hervor. Im Mittelpunkt dieses Schlüsselwerks steht eine junge Historikerin, die sich von Mann und Kind frei macht und auf den Spuren der frühen Sozialrevolutionärin und Feministin Flora Tristan, einer von Marx und Engels verleugneten Vorläuferin der Arbeiterbewegung, nach Lyon reist.
Am Schauplatz der ersten Streikbewegung der Seidenweber 1831 versucht sie bewaffnet mit einem Kassettenrekorder Flora Tristans Tagebuch zu folgen und durch Schauen und Zuhören einen unmittelbaren Zugang zur Geschichte der Stadt und ihrer kritischen Kommentatorin zu finden.
Gegen das „Unsichtbarwerden“ exemplarischer weiblicher Arbeit wendet sich auch „Die Frau mit der Kamera“ (2015), eine liebevolle Hommage an die 1996 verstorbene Frankfurter Fotografin und Wegbegleiterin Abisag Tüllmann. Auch hier nimmt Claudia von Alemann ihr Publikum mit an die Lebensorte der Freundin und spürt in Bildern und Sounds ihrer Gegenwart in der Erinnerung nach.