„Showing Up“ im Kino: Michelle Williams als Bildhauerin im Latzhosenumfeld
Die Bildhauerin Lizzie macht Keramiken: leicht verrutschte, etwas knorrige Frauenfiguren mit kleinen Fehlern und Disproportionen, rund 30 cm hoch und in gedämpften Farben glasiert. Ihre „Girls“, wie sie ihre Arbeiten in liebevoller Zugewandtheit nennt, scheinen flüchtigen Alltagsbeobachtungen nachmodelliert. Eine Figur zeigt eine Frau, die sich bückt, eine telefoniert halb liegend auf dem Boden, eine hat es gerade sehr eilig, eine grübelt vor sich hin.
Die Aufmerksamkeit für den Moment und die Bereitschaft zur Ablenkung, die Lizzies künstlerische Praxis grundieren, macht sich auch „Showing Up“ programmatisch zu eigen. Zu Anfang des Films beobachtet Lizzie (Michelle Williams) während eines Telefonats ihre Nachbarin Jo (Hong Chau) vom Balkon aus beim Entladen eines Autoreifens. Die Kamera folgt nun Jo, wie sie den Reifen die Straße entlang rollt, um damit im Hinterhof eine Baumschaukel zu installieren.
„Showing Up“ ist, anders als Filme über Bildhauer und Maler üblicherweise, kein Künstlerroman über Schaffen und Leiden eines Genies. Kelly Reichardt entwirft vielmehr eine ‚kleinformatige‘ Künstlerinnenerzählung, die ihr regionalistisches Projekt, auf die großen (amerikanischen) Erzählungen mit Beobachtungen des Peripheren zu antworten, auf etwas intimere Weise fortsetzt.
Latente Gereiztheit
Nachdem in dem historischen Western „First Cow“ (2019) der Verkauf von süßem Gebäck an der Frontier und die nicht unkomplizierte Beschaffung der Backzutat Milch im Zentrum standen, geht es nun also ums Kunstmachen im Portland der Gegenwart. Und das bedeutet in einem Film, dessen Wahl für das 16mm-Material einer konzeptuellen Entscheidung folgt, erneut Handwerk – und damit verbunden, um Fragen des Lebens und Überlebens als Künstlerin.
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Der ursprünglich als Biopic über die kanadische Künstlerin Emily Carr erdachte Film folgt Lizzie in den letzten Tagen vor ihrer Ausstellungseröffnung in einer kleinen Galerie. Sie arbeitet an den letzten Keramiken. Die innere Anspannung, unter der sie steht, übersetzt Michelle Williams (in ihrer inzwischen vierten Zusammenarbeit mit Reichardt) in ein feinnerviges Körperspiel – und in einen Gesichtsausdruck, in dem sich Konzentration und latente Gereiztheit vermischen.
Grund dafür ist vor allem ein kaputter Boiler, an dem weit mehr hängt als eine heiße Dusche. Jo, ihre Vermieterin und ehemalige Studienkollegin am Oregon College of Arts and Craft, ist viel zu beschäftigt, um sich um Nichtigkeiten wie eine Reparatur kümmern zu können.
Auch sie hat im Atelier zu tun, und wie sie betont: gleich für zwei Ausstellungen. Nur hat Jo, anders als Lizzie, die ihren Lebensunterhalt mit einem Bürojob an ihrer alten Schule bestreitet – ihre Vorgesetzte ist dabei ausgerechnet ihre Mutter (Maryann Plunkett) – durch ihre Mieteinkünfte auch etwas zur Verfügung, das für den künstlerischen Erfolg nicht unwesentlich ist: Zeit.
Gefühle wie Statusneid und Bewunderung für die sozial gewandtere Kollegin finden unter Reichardts Regie einen subtilen Ausdruck, ebenso wie die ökonomischen Zwänge und Gegebenheiten des Künstlerinnendaseins. So liegt Lizzies Werkstatt in der unter ihrer Wohnung liegenden Garage – ein Arbeitsraum, der in den kalten Wintermonaten vermutlich kaum zu nutzen ist.
Reichardts widmet ihre Aufmerksamkeit und Zeit aber vor allem der künstlerischen Arbeit selbst: dem Modellieren mit Ton, den Blickverhältnissen zwischen Lizzie und ihren Skulpturen und den sich verändernden Verhältnissen zwischen Künstlerin und Objekt. „Sorry“, sagt sie einmal leise, als sie einem ihrer „Girls“ die Arme abbricht.
Kräftige, energetische Handgriffe
Mehrfach wird Lizzies Arbeit an den Keramiken – real stammen sie von der aus Portland kommenden Künstlerin Cynthia Lahti – mit Jos eher kräftigen, energetischen Handgriffen kontrastiert. In ihrem hellen Studio sieht man sie große Schaumstoffteile mit Draht zusammenschnüren, die später mit farbigen Garnen, Pappmaché und anderen Materialien verwoben als raumgreifende, spinnennetzartige Gebilde im Ausstellungsraum installiert sind. (Jos Arbeiten sind Skulpturen der Künstlerin Michelle Segret.)
Der Blick mäandert aber auch immer wieder in den Werkstätten der Hochschule umher, wo gemalt, gewebt, gefärbt, gestrickt, gefilmt und auf der Wiese getanzt wird oder die neuste aufstrebende Karriere besprochen. Reichardts Perspektive auf dieses etwas hippieske Latzhosenumfeld ist distanziert und von feiner Ironie durchzogen. Sie verfällt dabei aber nie in einen satirischen Tonfall.
Neben ihren Keramiken und dem anhaltenden Duschproblem ist Lizzie noch mit anderen Widrigkeiten beschäftigt: ihrem Bruder Sean etwa, dessen Borderline-Erkrankung von der Mutter als Ausdruck seines kreativen Genies gedeutet wird und die zunächst widerwillige Betreuung einer halb zerrupften Taube. „Showing Up“ braucht keine großen Dramen, um davon zu erzählen, was es bedeutet, als Künstlerin zu existieren.