Aufmüpfige Verstrickungen: Potsdams Kunsthaus Minsk zeigt politische Textilkunst
Teppiche haben was von Menschen, sagt der Kurator Daniel Milnes. Manche gänzlich verschlossen, andere regelrechte Plaudertaschen. Eine der Plaudertaschen liegt gerade im Obergeschoss des Kunsthauses Minsk in Potsdam. Man erkennt den verplauderten Teppich daran, dass er völlig ausgefranst ist. Ein paar Meter daneben das Gegenteil: ein wenig auskunftsfreudiger Teppich. Er ist aalglatt.
„Familienfotos“ heißt die Arbeit von Ouassila Arras. Es ist die raumgreifendste in der Ausstellung „Soft Power“, die am 16. März eröffnen wird. Statt mit Fotos arbeitet Arras mit Teppichen, großflächig ausgelegt, alle aus privaten Zusammenhängen zu ihr gekommen. Um die Gesprächsfähigkeit eines Teppichs zu prüfen, knüpft Arras diese auf – oder versucht es. Einige bestehen nurmehr aus langen Fransen. Andere lassen sich nicht hinter das geblümte Muster gucken.
Textilkunst als Massenprotest
Für die algerischstämmige Künstlerin, 1993 in Frankreich geboren, ist die Arbeit eng mit Oral History verbunden, sagt Kurator Milnes. Wie in der Oral History komme man auch an manche Teppiche nicht heran. „Soft Power“ hat sich wie Ouassila Arras zweierlei zum Ziel gemacht: Muster aufzuzeigen und Muster aufzubrechen. Sie sich anzueignen.
Was woanders sprichwörtlich wäre, ist in „Soft Power“ im Wortsinn zu verstehen. Nirgendwo vielleicht deutlicher als in der Arbeit der belarussischen Künstlerin Rufina Bazlova (Jahrgang 1990). „Saga der Protestaktionen“ ist ein sieben Meter langes Leinentuch, rot bestickt. Was von weitem wirkt wie traditionelle Kreuzstickerei, entpuppt sich bei genauem Hinsehen als eine Dokumentation militärischer Willkür und zivilen Ungehorsams. Panzer, Demonstrierende, Erschießungen. Auch ein pinkelnder Hund.
Bazlovas „Saga der Protestaktionen“ entstand 2021, im zweiten Jahr des belarussischen Massenprotests gegen Präsident Alexander Lukaschenko. Dass im Kunsthaus Minsk, das seinen Namen von einem ehemaligen Terrassenrestaurant aus DDR-Zeiten übernommen hat und 2022 eröffnet wurde, nun die Protestkunst aus dem tatsächlichen Minsk ein Zuhause findet, zeigt, wie umsichtig die kuratorischen Köpfe vorgehen. Das Internationale suchen, ohne das Lokale aus dem Blick zu verlieren: Das gilt als Credo für Kurator Daniel Milnes und auch für Paola Malavassi, die Gründungsdirektorin des Minsk.
Das Gepäck hinter der schönen Fassade
Auf den Standort des Minsk bezogen heißt das: Es geht immer auch darum, Kunstproduktion aus der DDR im internationalen Kontext zu verorten. Das Kunststück von Ausstellungen wie „Soft Power“ ist es, zu zeigen, wie nahtlos Kunst aus der DDR sich da einfügen kann.
Die Schau thematisiert im Kapitel „Unsichtbare Hände“ die Produktionsbedingungen unter anderem am Beispiel der Leipziger Baumwollspinnerei und widmet auch der „Textilstadt“ Potsdam einen kleinen Epilog. Gezeigt werden hier zwei große Wandteppiche aus der Produktion des „Zirkels für künstlerische Textilgestaltung Potsdam“. Und eines der eindrücklichsten Werke in der Schau selbst stammt von Gabriele Stötzer. Ein Webbild aus eingefärbter, recycelter Baumwolle von 1985, über zwei Meter hoch. Damals hat sie bereits ein Jahr in Haft gesessen, wird seit Jahren von der Staatssicherheit observiert. Auf dem Wandteppich zu sehen, was im Titel steht: „Der große Schwanz“.
Das dekorative Element von Textilkunst ist wie in allen gezeigten Arbeiten nicht Endpunkt der Arbeit, sondern Ausgangspunkt für Auseinandersetzung. Anlass, auf das Gepäck zu schauen, was diese fast ausnahmslos so anmutigen, oft anschmiegsamen, ästhetisch einladenden Kunstwerke transportieren: an persönlicher Geschichte, Herkunft, Entstehungsbedingungen.
Der Bogen, der sich hierbei auftut, ist beeindruckend. Inhaltlich, aber auch geografisch. Die Schau spannt Fäden von Leipzig über Erfurt bis Zypern, Algerien und Südafrika. Inspiration für die Ausstellung war einer der jüngsten Neuzugänge in der Sammlung Hasso Plattner: William Kentridges Mohair-Tapisserie „Deutschland und die angrenzenden Länder im Süden und Osten (Mastenfrau)“, mehr als drei Meter breit. Eine Frauensilhouette auf spitzen Stelzenbeinen stakst als bedrohlicher Schatten über eine Europakarte. Was also macht sie aus, diese Textilkunst? Nach „Soft Power“ lässt sich sagen: oft bunt, fast immer weich. Aber eines nie: bequem.