Im Kino: Liedermacher Voodoo Jürgens in „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“: Zigarettenqualm und Wiener Schmäh
Sie passen zusammen, Erich Bohacek, den alle nur Rickerl nennen, und seine Stammtischbagage. Qualmen, Palavern, Saufen, Zeit vertun – das hält die generationen- und geschlechterübergreifende Kundschaft im Wiener Arbeiterbeisl „M.“ zusammen.
Der Laden und die Leut‘ sind gleichermaßen aus der Zeit gefallen. Total 20. Jahrhundert und selbst in Wien samt ihrem heftig vernuschelten Dialekt, der Untertitel nötig macht, stark vom Aussterben bedroht.
Rickerl, das ist Voodoo Jürgens, ein mit Lob überhäufter Liedermacher und Protagonist des Austropop, der in Nachfolge von schwarzhumorigen Ösi-Barden wie Wolfgang Ambros und Ludwig Hirsch steht.
Voodoo Jürgens’ Leben ging mit ein
Von Hause aus David Öllerer geheißen, hat sich Voodoo Jürgens, dessen Biografie grob in Adrian Goigingers fiktive Tragikomödie eingegangen ist, vor dem Erfolg sehr lange mit Misserfolg beschäftigt. Wie das im Genre Musikfilm, in das „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ genauso passt, so geht, wenn ein Verweigerer der bürgerlichen Leistungsgesellschaft sich mit Jobs wie Totengräber und Hochzeitssänger durchschlägt.
„Weh au Weh“ singt Rickerl gleich eingangs einen Voodoo Jürgens-Song, der seinen Rauswurf auf dem Friedhof einläutet. Dass Rickerl, der Chaot, Loser und Pleitier, dauernd vom Arbeitsamt die Bezüge gesperrt bekommt, ist im Wirtshaus kein Grund sich zu schämen. „Alles Schikane!“ wettern die versammelten Transferleistungsempfänger, als er davon erzählt.
Zu denen gehört auch Rickerls Vater (Rudi Larsen), ein spielsüchtiger Alkoholiker, der an das Talent seines Buben nicht glauben mag. Anders als Rickerls sechsjähriger Sohn Dominik (Ben Winkler), der bei Rickerls neu verbandelter Exfreundin Viki (Agnes Hausmann) lebt, und der größte Fan seines Vaters ist.
Die Liebe zwischen dem Jungen und Rickerl ist denn auch das Herzstück dieser atmosphärischen Milieustudie, die an Adrian Goigingers Debüt „Die beste aller Welten“ erinnert. Das autobiografische Drama (2017) handelte davon, wie ein Siebenjähriger die Drogensucht seiner Mutter erlebt.
Auch so ein rauschhaftes, entgrenztes und manchmal eben asoziales Milieu, wie Goiginger es jetzt in „Rickerl“ beschreibt, wo nur Musik und Vaterliebe den Helden vor dem Absturz bewahren. In Ben Winkler hat der Regisseur, der 2022 mit „Märzengrund“ und „Der Fuchs“ gleich zwei stimmige Dramen in historischen Kontexten herausbrachte, wieder einen hinreißenden Kinderdarsteller gefunden.
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Geschenkt, dass es Goiginger mit der Inszenierung Rickerls als Kettenraucher (sogar im Kino!) und notorischen Gegenwartsverweigerer, der Liedtexte, die lange nur auf fliegenden Zetteln existieren, in die Schreibmaschine hackt und die Demos mit dem Kassettenrekorder aufnimmt, etwas übertreibt.
Der dauervernebelte Look, die vergilbten Kneipeninterieurs und Rickerls, sprich Voodoo Jürgens Siebziger-Klamotten fungieren gewissermaßen als Bebilderung seiner melancholisch-sarkastischen Songs, die die nostalgische, vergänglichkeitssatte Tradition des Wienerlieds fortführen.
„Wer wird mir a Gruab’n grab’n?“ tönt es in „Weh au Weh“ nicht von ungefähr aus Rickerls Mund. „Der Tod, der muss ein Wiener sein“, das hat schon Georg Kreisler gewusst. Wie gut, dass Rickerl sich schließlich doch aufrafft, ein Musikerleben nicht nur zu behaupten, sondern auch praktisch anzugehen. Nicht aus Ehrgeiz, den kennt er nicht, sondern aus Vaterliebe.
Austropop-Kollege Der Nino aus Wien, der einen Cameo-Auftritt hat, dient als angemessen schräges Erfolgsvorbild. Sie sind schon zu beneiden die Ösis, um die Selbstverständlichkeit, mit der sich ihre coolen Liedermacher am musikalischen Erbe der Väter bedienen. Und um ihren Schmäh sowieso. Den legt auch Nachwuchsbarde Dominik in der herzigen Schlussszene an den Tag.