Vernetzte Welten : Trak Wendisch in der Galerie Tammen

Wir leben mit den Innovationen der Digitalisierung. Sie formen uns, formen uns um und können uns manchmal schon ersetzen. Eine Frage der Zeit, bis uns diese Entwicklung entgleist, davon ist der Berliner Künstler Trak Wendisch überzeugt. In der Kreuzberger Galerie Tammen visualisiert er diese Überzeugung. „Part I“ einer zweiteiligen Ausstellung umfasst Arbeiten seiner jüngsten Serie „Statt“ und Skulpturen aus den neunziger Jahren. Im Ausstellungsraum fällt der Blick direkt auf „Statt“. Aus der Distanz wirkt die Collage aus Platinen wie eine Stadtkulisse.

Die Platinen ragen wie Hochhäuser in den Raum und erzeugen das Bild einer Metropole aus der Vogelperspektive. Ein sicheres Konstrukt, meint man, stattdessen steht dieser Stadt der Verfall bevor.  Die Technik rast weiter, die Metropole ist bereits von der Zeit überholt.

KI und das Unbewusste 

Trak Wendisch, geboren 1958, ist extrem experimentierfreudig. Sein künstlerisches Schaffen umfasst Holzskulpturen, Malerei, Bronzen und Reliefs. Die Faszination für Hardware-Platten weckte sein Sohn, der alte Platinen in der Schreibtischschublade aufbewahrte. Gebannt von der Schönheit dieser Computerteile malte Wendisch zunächst Platinen. Sie erinnern an Teppichmuster und beherbergen Häuser- oder Tempelgrundrisse. 

Der Künstler assoziiert mit der sperrigen Hardware eine verblassende Weltordnung. Ein physisches Artefakt für eine entschleunigte Zeit, die die Menschheit so nicht mehr erleben wird. Beunruhigt beobachtet er den aktuellen Aufstieg Künstlicher Intelligenz und visualisiert seine Bedenken über eine bevorstehende Entleerung menschlichen Daseins. In „Statt“ wird dieses Unbehagen deutlich. Die Struktur und Funktion einer Platine lässt sich nicht von einem Laien erklären, man steht den Linien, Punkten und Strichen gegenüber und denkt sich: Wow, das ist ja ganz schön kompliziert. An dieses Gefühl knüpft Wendisch an. Flächendeckend hat uns die Digitalisierung eingenommen, schleichend hat sie unseren Alltag infiltriert und wir haben es nicht gemerkt.

Alte und neue Gesichter 

Daneben stehen ältere skulpturale Arbeiten. Sie sind die Favoriten seiner Stamm-Sammlerschaft, so der Künstler. Wendisch, der sich spaßhaft als „Steinzeit-Künstler“ bezeichnet, war ein Student Bernhard Heisigs und studierte an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.

Gelangweilt von der Politik der DDR schufen Wendisch und seine Künstlerfreunde Werke voller Kritik am System. Wendischs „Seiltänzer“ findet man heute im Hof des Auswärtigen Amtes, den „Mann mit Koffer“ in der Berlinischen Galerie und die „Viertelmondträgerin“ im Anger in der neuen Breiten Straße in Pankow. 

Gespenstisch stehen Figuren aus der Reihe „Lastenträger“ inmitten der digitalen Platinen-Collagen. Sie wirken gebrechlich, weisen Risse auf, scheinen jeden Moment in sich zusammenzufallen. Bewusst hat der Künstler sie mit seinen neusten Werken im Raum kombiniert. Er erinnert mit diesem Zusammenschluss an die „condicio humana“, die Umstände des Menschseins und die drohende Selbstentfremdung. Die Achtung des Alten ist verschwunden, es muss Platz her für eine neue Ordnung. Dass der Mensch daran vielleicht zerbricht, wird hingenommen. 

Schwarze Bilder 

„Part II“ der Ausstellung knüpft an diese Dystopie an. Thematisch im Fokus: die Zerstörungen durch den Krieg. Wendisch nimmt Eindrücke mit einer ausgeprägten Intensität wahr, die Bilder gehen ihm dann nicht mehr aus dem Kopf. Eine solche Vereinnahmung erlebte er bei der Betrachtung der Bürgerkriegsbilder aus Syrien.

Blanke Zerstörung war der Anreiz für seine Reliefs. Sie sind pechschwarz, gebrannt und wirken wie Schlachtfelder. Bei genauerem Betrachten lassen sich Umrisse von Städten, Häfen und Feldern erkennen, die wie unter einer Decke begraben sind. Wendischs „Schwarze Bilder“ sollen weniger als Warnung wahrgenommen werden, sondern rein neutral das zeigen, was einen Krieg ausmacht, nämlich Trümmer und Verfall.

Die Galerie Tammen wird durch die Kunst von Wendisch mit einer speziellen Energie aufgeladen. Der Künstler beschreibt sie als wichtigstes Element seines Schaffens und lädt die Besucher dazu ein, mit ihren Erinnerungen und Ansichten den Inhalt seiner Werke selbst zu bestimmen.