Folge 176 „Wochniks Wochenende“: Unfertige Musik
Bertolt Brecht hat es einmal auf den Punkt gebracht: „Die kleinste gesellschaftliche Einheit ist nicht der Mensch, sondern zwei Menschen“. Weil erst im Dazwischen menschlicher Verflechtungen Leben, interessanter Anekdotenklatsch und, nicht zuletzt, Kunst entstehen kann. Diesem Credo will die diesjährige Ausgabe des Festivals für Neue Musik, die Klangwerkstatt, auf den Grund gehen.
Und weil der Name Programm ist, stehen einmal mehr das Neue an der Neuen Musik sowie der Werkstattcharakter der Werke im Vordergrund: Gerade fertig Komponiertes, gerade im Fertigwerden Befindliches und vorübergehende Zwischenstände kollektiver Kompositionsprozesse sollen zur Aufführung gebracht werden.
So weit zum Begrifflichen. Richtig interessant wird das Ganze dann auf sinnlicher Ebene. Etwa, wenn man beim Hören der hier uraufgeführten Musik einen grundsätzlichen Zweifel am Werk anmeldet, auf das Unfertige, nicht zu Ende Gedachte an ihm horcht, auf sich andeutende Zukünfte und solches, das womöglich nicht über seine Uraufführung hinaus Bestand haben wird. Etwa bei einem der Werke von Jürgen Kupke, Denis Stilke oder Florian Bergmann, die das Kreuzberger Klarinettenkollektiv am Montagnachmittag uraufführt.
Letzteres, von Florian Bergmann, nimmt die Möglichkeit seines Verschwindens schon im eigenen Titel vorweg: „al niente“ (ins Nichts) für Klarinettenensemble erscheint zugleich wie die Antithese des bekannten „Dal niente“ (1970), also „aus dem Nichts“ für Klarinette solo von Helmut Lachenmann.
Auch „Der ungetanzte Tango“ von Christian Korthals, der Sonntagvormittag in der Fassung für Kammerorchester von der Freien Jugendorchesterschule Berlin uraufgeführt wird, trägt die Verneinung seiner Selbst schon im Namen, während etwa „Floating Rotation“ von Charlotte Seither eher Permanenz nahelegt. Und das mit Recht, entstanden ist die Partitur schließlich schon 2003.
Führt man sich zudem vor Augen, wie viel an Lebensmitteln eine eher kleine Gruppe von Menschen während einer Konzertdauer vertilgen kann, wird der ephemeren Natur des Klanges auf nahezu allen Ebenen entsprochen. Fünfmal wird im Verlauf der kommenden Woche, nicht nur des Wochenendes, synästhetische „Tafelmusik mit Mittagsimbiss“ dargereicht, und zwar aus Spanien, Österreich, Großbritannien, Armenien und Rumänien.
Wie süffisierte Schopenhauer doch gleich: „Was nun andrerseits die Menschen gesellig macht, ist ihre Unfähigkeit, die Einsamkeit und in dieser sich selbst zu ertragen.“ Unkritisch war das nicht gemeint. Man selbst, sagte er nämlich auch, sei man nur in der Einsamkeit. Aber wer will das schon?
Die Gefahr, zu vereinsamen, besteht an neun Tagen Klangwerkstatt definitiv nicht. Zu hören sind Acts wie Ensemble Mosaik (Foto) & Klexos, das Klavierduo Sugawara & Hemmi, Ensemble Lux:Nm & Bazar Électrique, Georg Katzer Ensemble, CoMA Allcomers Orchestra mit Ensemble KNM Berlin, Kollektiv Unruhe, das ukrainische Vokalensemble Alter Ratio und viele andere internationale Performer:innen.