Das deutsche Kino schmückt sich mit fremden Federn
Das deutsche Kino soll internationaler werden. Dieser Wunsch wird schon seit einiger Zeit an die Branche herangetragen. Diversität, Stimmenvielfalt, neue Geschichten – solche Forderungen prallen bei Förderern und Redaktionen aber immer wieder auf behäbige Strukturen. Die Filmakademie hat in diesem Jahr einen kleinen Trick angewendet, der das deutsche Kino auf einen Streich internationaler erscheinen lässt. Der österreichische Film „Große Freiheit“ von Sebastian Meise und die internationale Produktion „Spencer“ des Chilenen Pablo Larraín befinden sich unter den sechs Nominierten für den besten Film 2022, wie die Ausrichter der „Lolas“ am Donnerstag verkünden.
Das ist künstlerisch eine gute Nachricht, beide Filme gehören zu den Highlights des Jahrgangs. Auf den deutschen Film werfen die Nominierungen allerdings ein zweifelhaftes Licht, weil sich die Branche mit falschen Federn schmückt. Auch wenn die Auswahl den Regularien entspricht, folgt dieses Signal der Logik der Förderbürokratie.
In Cannes beziehungsweise Venedig, wo die Filme ihre Weltpremieren erlebten, wurden weder „Große Freiheit“ noch „Spencer“ als deutsche Filme rezipiert. Es sind deutsche Ko-Produktionen; hinter „Spencer“ steht die Berliner Komplizen Film („Toni Erdmann“). Deutsche Filme waren zuletzt auf internationalen Festivals Mangelware.
Mehr Filmstandort als Filmkunst
Und wenn es mal einen gibt, schaffen es die Mitglieder der Akademie, diesen konsequent zu ignorieren: Locarno-Preisträger „Niemand ist bei den Kälbern“ ist weder für den besten Film noch die Regie (Sabrina Sarabi) nominiert. Immerhin hat Hauptdarstellerin Saskia Rosendahl Chancen, steht dort allerdings gegen die Bären-Gewinnerin Meltem Kaptan.
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Der kritische Blick auf „nationale“ Kategorien hat dabei wenig mit chauvinistischem Dünkel zu tun. Er zeigt vielmehr, dass die deutsche Branche zwar gut darin ist, den Filmstandort zu bewerben, aber diese Investitionen wenig nachhaltig auf die einheimische Produktion umgeschlagen werden. Die Titel mit den meisten Nominierungen sind Andreas Dresens doppelter Bären-Gewinner „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (zehn) und das Brasch-Biopic „Lieber Thomas“ (zwölf) von Andreas Kleinert.
Die internationale Reichweite beider Filme ist überschaubar, selbst wenn Dresen dieses Mal über den Atlantik blickt. Künstlerisch bewegen sich beide Filme im soliden Mittelmaß, irgendwo zwischen Berlinale-Abo und deutschem Fernsehen. Sie werden das Rennen dennoch unter sich ausmachen. Bezeichnend ist eben nur, dass die Filmakademie durch die Nominierung von „Große Freiheit“ und „Spencer“ der Logik der Förderer folgt, die das deutsche Kino vor allem als Wirtschaftsstandort betrachten.