„Der Hockeysport ist viel zu elitär“: Nationalspieler Timur Oruz über Diabetes und Probleme im Hockeysport
Herr Oruz, wie aufgeregt sind Sie im Hinblick auf die anstehende Hockey-Europameisterschaft in Mönchengladbach?
Da ist vor allem Vorfreude. Ich bin gespannt darauf, wie viele Leute kommen, wie die Stimmung sein wird. Ich war selbst bei der WM 2006 in Mönchengladbach, als die Jungs gewonnen haben. Damals habe ich als kleiner Junge mitgefiebert, da schließt sich der Kreis. Und wenn die Stimmung auch nur annähernd so ist wie damals, dann wäre das bombastisch.
Wie ist Ihre Erwartung?
Ich rechne schon mit 8000 oder 9000 Zuschauern, das ist für uns besonders. In anderen Sportarten ist das gang und gäbe, bei uns aber eher selten. Wir hoffen, dass wir mit unserer Spielweise die Leute mitreißen und motivieren können.
Wieso fehlt es an Zuschauern?
Um die Menschen in Deutschland mitzunehmen und zu begeistern, muss man natürlich auch präsent sein. Wenn wir nicht im Fernsehen laufen und die Leute uns nicht sehen können, dann kriegen sie es auch nicht mit. Die Zeitungen schreiben nur darüber, wenn wir Weltmeister werden. Dann wissen es die Leute, aber sie haben uns nicht spielen sehen. Unsere Spiele sind aber das, was die Menschen begeistern soll.
Warum laufen die Spiele nicht im Fernsehen?
Sie werden nur im Livestream gezeigt. Das ist ein Witz. Wenn eine der erfolgreichsten deutschen Mannschaftssportarten, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen, eine Europameisterschaft austrägt, dann müssen diese Spiele zu sehen sein. ARD und ZDF zeigen, wenn überhaupt, nur das Finale live. Das ist ein Schlag ins Gesicht und für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Es müssen ja auch nicht unbedingt ARD und ZDF sein, dann soll es ein Lokalsender machen.
Wie wirkt sich die fehlende Präsenz und Aufmerksamkeit auf den Hockeysport aus?
Das macht es schwieriger, Sponsoren zu finden, es fehlen Gelder. Dass ich jetzt meinen Lebensunterhalt mit dem Hockeysport bestreiten kann, ist schon etwas Besonderes. Es ist eine Unverschämtheit, wie wenig Unterstützung wir für das bekommen, was wir leisten. Aber auch wir müssen sicherlich im Verband und auch auf anderen Ebenen professioneller werden, besser arbeiten, damit man nicht mehr an uns vorbeikommt.
Gerade wenn man in der ersten oder vielleicht auch zweiten Generation nach Deutschland kommt, ist Hockey nicht die erste Sportart, die man seinen Kindern anbietet.
Timur Oruz, Hockey-Nationalspieler
Es gibt also auch eine interne Debatte darüber.
Natürlich. Man muss auch sagen, dass wir ein elitärer Sport sind. Wir können nicht die ganze Gesellschaft erreichen, auch wegen der Mitgliedsbeiträge. Allein dadurch schließen wir einen großen Teil der Gesellschaft aus und bewegen uns in unserer eigenen Blase.
Wie divers ist der Hockeysport denn überhaupt aufgestellt?
Es gibt zum Beispiel kaum schwarze Spielerinnen und Spieler in Deutschland. Gerade wenn man in der ersten oder vielleicht auch zweiten Generation nach Deutschland kommt, ist Hockey nicht die erste Sportart, die man seinen Kindern anbietet. Es ist einfach zu teuer. Und das ist schade.
Wie lange begleitet Sie der Hockeysport schon?
Der erste Kontakt mit dem Hockeysport kam über Babsi Wellen, die auch die Mutter meines Mannschaftskollegen Niklas Wellen und gleichzeitig eine Freundin meiner Mutter ist. Ich war drei Jahre alt, als ich mit dem Hockeyspielen angefangen habe. Mit fünfeinhalb Jahren wurde bei mir Diabetes diagnostiziert. Der Sport hat mir aber beim Zuckermanagement geholfen. Dadurch hat er natürlich noch mehr an Bedeutung und Wert in meinem Leben gewonnen.
Wurde Ihnen nach der Diagnose auch abgesprochen, dass Sie weiter Hockey spielen können?
Gerade am Anfang gab es immer wieder Diabetologen, die gesagt haben, dass Leistungssport mit Diabetes nicht optimal ist. Ich hatte aber das Glück, dass meine Mutter Kinderärztin ist und mich eng begleitet und immer unterstützt hat.
Welchen Einfluss hat Ihre Diabeteserkrankung auf den Sport?
Anders als die meisten anderen Erkrankungen, für die man beim Arzt oder bei der Ärztin einen Medikamentenplan verschrieben bekommt, fordert Diabetes mich jeden Tag aufs Neue heraus. Das Wetter, Aufregung oder Nervosität haben Auswirkung auf meine Blutwerte. Wenn ich vor einem Spiel nervös werde, schießen meine Werte in die Höhe.
Sie setzen sich auch in der Öffentlichkeit für mehr Sichtbarkeit von Diabetes im Spitzensport ein. Wieso?
Der Umgang mit Diabetes im Spitzensport ist immer unterschiedlich. Daher sind die Sichtbarkeit und der öffentliche Austausch, der daraus folgt, so wichtig. Auch mit Diabetes kann man alles schaffen – das ist meine Botschaft.
In diesem Jahr sind Sie mit ihrer Mannschaft Weltmeister geworden. Ist da karrieretechnisch noch Luft nach oben?
Meine Karriere ist Richtung Ende unterwegs. Ich bin mit 28 Jahren nicht mehr der Jüngste. Mein Körper signalisiert mir, dass die Karriere jetzt nicht noch zehn Jahre weitergehen wird. Das ist auch okay. Aber jetzt steht erstmal die EM vor der Tür und im nächsten Jahr Olympia in Paris.
Darüber hinaus mache ich mir gerade noch keine Gedanken. Es ist ganz normal, dass sich irgendwann die Prioritäten verschieben und man dem Sport den Rücken kehren muss. Dann gilt es, einen guten Einstieg in die Berufswelt zu schaffen.