Wo die Liebe hinknallt
Auf der einen Seite ragt die „Dreigroschenoper“ wolkenkratzerhaft in die Höhe, von der anderen Seite wirft „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ lange Schatten. Und dazwischen steht, weitgehend unbeachtet, „Happy End“, das Mittelstück der Songspiel-Trilogie, die Kurt Weill und Bertolt Brecht zwischen 1928 und 1930 geschaffen haben. Einige der Musiknummern immerhin sind zu Hits geworden – das Lied von Mandalay, „Surabaya Johnny“, der Matrosen-Tango, „Bills Ballhaus in Bilbao“, „Und mit morgen könnt ihr mich“.
Doch die von Elisabeth Hauptmann entworfene Story kann einfach nicht mit den zwei Meisterwerken mithalten. Ein skrupelloser Verbrecher verliebt sich in naives Heilsarmee-Girl, beide werden deshalb aus ihren Milieus verstoßen. In einem mit der dramaturgischen Brech(t)stange herbeigeführten Finale aber versöhnen sich die widerstreitenden Sphären plötzlich doch noch – weil sie einen neuen, gemeinsamen Feind ausgemacht haben: den Kapitalismus. Der berühmte Agitprop-Spruch „Was ist der Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ beschließt das Stück.
Barrie Kosky hat jüngst die „Dreigroschenoper“ am Berliner Ensemble herausgebracht und „Mahagonny“ an seiner Komischen Oper. Im Renaissance Theater pickt Sebastian Sommer jetzt die Krümel auf und inszeniert „Happy End“ (weitere Aufführungen bis 10. Juli). Philip Rubner und Alexander Grüner haben ihm dafür einen drehbaren Kasten auf die Minibühne gestellt, der sich mit eleganten Lichtbändern stimmungsvoll ausleuchten lässt.
Skurrile Typen, verlorene Seelen
In ihm, um ihn, unter ihm und auf ihm performt das elfköpfige Ensemble die krude Story, als Mischung aus Gangsterkomödie, „Bohème sauvage“- Soiree und stilisiertem Sozialdrama. Sommer überzeichnet die Figuren, karikiert ihr vorhersehbares Verhalten, macht sie dabei aber nie lächerlich. Denn diese skurrilen Typen sind für ihn allesamt verlorene Seelen, Schutzsuchende, die sich unters Dach zweifelhafter Gemeinschaften flüchten – der Kirche respektive der Mafia –, die mit vagen Versprechungen locken und vollständige Unterwerfung fordern. Die Slapstickeinlagen funktionieren dabei als Verfremdungseffekt, als Fingerzeig im übertragenen Sinne des epischen Theaters: Seht her, liebe Leute, wir spielen eine Parabel!
Es wird hingebungsvoll gesungen
Der Regisseur braucht also auch gar keine Verrenkungen anzustellen, um die amour fou seiner Protagonisten nachvollziehbar zu machen, die urplötzliche Verliebtheit, die über Lilian Holiday und Bill Cracker hereinbricht.
Denn in der kalten, bösen Welt von „Happy End“ ist nun einmal jede und jeder auf der Suche nach ein wenig menschlicher Zuneigung. Gabriel Schneider spielt den harten Hund als drahtiges Bürschchen, wirbelt wie ein Unterwelt-Fred-Astaire über die Szene und schmettert sein Auftrittslied mit toller Musicalstimme. Sophia Euskirchen klingt eher jazzig angeraut, wozu ihre erotisch erweckte Missionarin stets ein entwaffnendes Mein-Herz-ist-rein-Gesicht macht. Und auch alle anderen Akteure singen ihre Nummern hingebungsvoll, oft mit Mut zur Hässlichkeit. Angefeuert werden sie dabei von Harry Ermers siebenköpfiger Kapelle, die Kurt Weills raffinierte Rhythmen mit angemessener Rotzigkeit raushaut.