Polyphonie pur : Acht Tage Poesiefestival Berlin

„No man is an island“, beginnt das meistzitierte Gedicht des englischen metaphysical poet John Donne (1572 – 1631): „No man is an island, / Entire of itself. / Each is a piece of the continent, / A part of the main.“ Und weil diese im Lauf der Jahrhunderte immer wieder auch einmal in ihr Gegenteil verkehrte Zeile heute allzu männlich anmuten könnte, hat Katharina Schultens, die neue Leiterin des programmatisch verantwortlichen Hauses für Poesie, sie als Motto des 24. Poesiefestivals Berlin geschlechterneutral umformuliert: „no one is an island“.

Ob nun niemand eine Insel ist, oder ob alle verlorene Einzelwesen sind – es geht um Verbindendes und Trennendes inmitten der vielstimmigen Dichtung der Gegenwart. In bewährter Tradition wird das Festival aber wieder mit „Weltklang“ (9.6., 19.30 Uhr) eröffnet, jener „Nacht der Poesie“, in der man Formen und Töne der Lyrik aus allen Ecken, Enden und Sprachen dierser Erde erleben kann. Beteiligt sind die pakistanische Sängerin Arooj Aftab, die Japanerin Takako Arai, die Russin Polina Barskova, die kürzlich bei Hanser in deutscher Übersetzung den Band „Mutabor“ veröffentlichte. Dazu Julian Talamantes Brolaski, von Lipan- und Mescalero-Apachen abstammende Transkünstler:in; die von der niederländischen Karibikinsel Curaçao stammende Radna Fabias, die indische Feministin Meena Kandasamy, der auf Deutsch bei CulturBooks das Memoir „Schläge“ vorliegt, der Engländer Zaffar Kunial sowie der Deutsche Christian Lehnert. Mit seinen der Suche nach Gott verpflichteten Gedichten, die mystische und romantische deutsche Traditionen beerben, bildet er das Kontrastprogramm. Polyphoner kann es kaum zugehen.

Sie alle sind in den Folgetagen auch jeweils in eigenen Veranstaltungen zu hören. Angekündigt ist außerdem ein Gipfeltreffen der beiden New Yorker Dichterinnen Alice Notley und Eileen Myles (12.6., 19.30 Uhr), eine nonbinäre Dichter:in mit Kraft und Witz. Notley, die hierzulande fast unbekannte Witwe von Ted Berrigan, ist als ehemalige Lehrerin von Myles angekündigt, die sich gerade als Fellow der American Academy in Berlin aufhält. Die Berliner Rede zur Poesie (11.6., 19.30 Uhr) hält Südkoreas renommierteste Dichterin, die 1955 geborene und durch den Griffin Prize auch zu internationalem Ruhm gelangte Kim Hyesoon. Sie ist eine faszinierende Stimme, die in drastisch- surrealistischen Bildern Themen des weiblichen Körpers und der Gewalt zusammenbringt. (dotz)