Orkanböen und Sommergewitter: Wetterkapriolen in der Kunst
Schau an, da schwimmt des Bürgers roter Hut. Eine heftige Böe hat sie dem erschrocken die Arme hochreißenden Mann vom Kopf gefegt. Dem daneben zerrt der Sturm am Cape. Einer Frau bläht er den Rock. Von den Segeln der Schiffe, die in dieser stürmischen Küstenszene gegen die Wogen ankämpfen, gar nicht zu reden. Wind ist eine Luftbewegung und als solche unsichtbar. Aber was Wind auslöst, das will der Künstler Hendrick Avercamp auf seiner kolorierten Zeichnung „Seeufer bei Sturm“, die im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts entstand, packend darstellen.
Avercamp ist auch als Begründer der Schlittschuhmalerei bekannt. Oder besser: Er begründete das Genre der Winterlandschaft mit Eisläufern, wie Christien Melzer weiß. Sie ist Kuratorin des Kupferstichkabinetts für niederländische und englische Kunst vor 1800 und hat die Kabinettausstellung „Heiter bis wolkig. Wetterphänomene in der holländischen Graphik und Zeichnung“ in der Gemäldegalerie gestaltet.
Nicht nur, weil sie in den wetterwendischen Monat April passt, sondern weil extreme Wetterlagen durch die Erderwärmung zunehmen. Und es auch für die Darstellung von Flutkatastrophen im Ahrtal oder im Pakistan in den Fernsehbildern von heute Bildtraditionen gibt, die auch in den Niederlanden des ausgehenden 16. und 17. Jahrhunderts begonnen haben.
Dass das Wetter an sich mit größerer Aufmerksamkeit bedacht wird, ist seit den 2000er Jahren zu beobachten. Seitdem mehren sich Buchtitel wie „Wetter macht Geschichte“, „Wolkendienst: Figuren des Flüchtigen“ und teils kunsthistorisch, teils naturwissenschaftlich angehauchte Themenausstellungen über die Verbindung zwischen Wetter und Kultur.
Wetter bedingt ja nicht nur die menschliche Existenz, sondern schafft auch Kunst, hat nicht nur die Bundeskunsthalle 2017 in ihrer Schau „Wetterbericht. Über Wetterkultur und Klimawissenschaft“ gezeigt. Sondern auch die Berliner Gemäldegalerie schon vor zwanzig Jahren in einer Ausstellung über die „Kleine Eiszeit“, die sich in den Winterlandschaften der niederländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts niedergeschlagen hat.
Und genau dort landet man jetzt beim Betrachten der Eislandschaften von Jan van de Velde II, Hendrick Avercamp und Gerrit Battem wieder. Sein „Vergnügen auf dem Eis“ zeigt Winterfreuden, die an das Hamburger Alstervergnügen erinnern. Menschen aller Stände und jeden Alters tummeln sich auf spiegelglatter Fläche. Avercamp zeigt Alltagsszenen wie einen Händler, der heiße Maronen feilbietet.
Land, dem Meer abgerungen
Die Darstellungen sind naturalistisch, sie bilden meteorologische Realitäten ab und keine Allegorien. Sie sprechen vom Selbstbewusstsein des Bürgertums eines wohlhabenden Landes, das Mitte des 17. Jahrhunderts über die größte Handels- und Kriegsflotte der Welt verfügt. Und diesen Wohlstand, aufgrund seiner Lage, immerzu dem Meer und den Elementen abringt. Ein Viertel des niederländischen Territoriums liegt unter dem Meeresspiegel.
Keine schönen Aussichten, wenn man an die Prognosen zu dessen Anstieg denkt. Welche Verheerungen Deichbrüche bedeuten können, haben die Menschen auf Christiaan Josis großformatigen Radierungen zum Deichbruch bei Gorkum und Bemmel im Februar 1799 am eigenen Leibe erlebt. Meterhoch aufgetürmte Treibeisschollen zerquetschen ein Haus, zerreißen den Damm, Mensch und Vieh versinkt. Ausführliche Bildunterschriften preisen den Heldenmut derjenigen, die den Dorfbewohnern beistanden. Diese wuchtigen Verwüstungsszenarien dienen der Dokumentation.
Ganz anders die „Flachlandschaft mit Gewitterhimmel“ von Jan Ruijscher. Dieses zauberhafte, fein gestrichelte Panorama im Kleinformat schwelgt in einer sommerleuchtenden Kulturlandschaft, die hauptsächlich aus hohem Himmel besteht. Wolken jagen schnell dahin, die Sonne strahlt durch ein Loch in der Wolkendecke, rechts zieht ein Schauer ab, links einer heran. He, ihr plaudernden Menschlein da hinten, gleich werdet ihr nass! Plastisch dargestellte Wetterkapriolen können sehr erfrischend sein.
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