Tanzen nicht vergessen
Nein, das Stillsitzen haben sie nicht verlernt in den langen Monaten des Lockdowns. Die Besucherinnen und Besucher, die sich am Donnerstagabend im Pierre Boulez Saal versammelt haben, um am Pilotprojekt zur Öffnung der Berliner Bühnen teilzunehmen – mit negativem Coronatest und FFP2-Maske auch während der Darbietung –, sie umhüllen das Danish String Quartet geradezu mit ihrer Aufmerksamkeit, schaffen einen Kokon der kollektiven Konzentration.
Schuberts letztes Streichquartett von 1826, ein monumentales Opus von 45 Minuten Spieldauer, gehen die Herren aus Kopenhagen ohne falsche Ehrfurcht an. Ein drängender Puls dominiert in den schnellen Sätzen, klares, nordisches Licht durchflutet das Stimmengeflecht. Aber wenn es leise wird, kann der warme, dichte Zusammenklang von Frederik Öland, Rune Tonsgaard Sörensen, Asbjörn Nörgaard und Fredrik Schöyen Sjölin auch mal ganz hygge werden.
So aufgeklärt und geradlinig ist diese Schubert-Interpretation angelegt, dass im Andante selbst die Geisterstimmen, die im Hintergrund der Melodielinie beständig seufzen, pochen oder höhnisch lachen, ihre Bedrohlichkeit verlieren und eher an das mittsommernächtliche Treiben von Kobolden erinnern.
Nach dem Meisterwerk folgt Tanzmusik
Weil die Dänen in ihrer Konzertpraxis festgestellt haben, dass Meisterwerke intensiver wirken, wenn sie für sich allein stehen, folgt im zweiten Teil des pausenlosen Abends kein weiterer Meilenstein der Quartettliteratur, sondern: Tanzmusik. Als geistreicher Mix, bei dem die vier Streicher zu Klassik-DJs werden. Musik aus vier Jahrhunderten haben sie in die traditionelle Form einer Suite gebracht, die ästhetisch aber alle Erwartungshaltungen sprengt. Barockes trifft auf Minimal Music, archaischer Tanzkapellenklang reibt sich an weihevoller Romantik, vertrackte Stolperrhythmen von John Adams wechseln mit dem strengen Tonsatz von Marc-Antoine Charpentier.
Intelligent ist das gedacht und in der Live-Ausführung mitreißend gemacht. Ebenso wie die Eigenarrangements skandinavischer und irischer Volksmusik, die als Finale folgen – und das zuvor so fokussiert lauschende Publikum zum Jubeln, Johlen und Fußtrampeln bringen.