Jonathan Meese an der Volksbühne: Umsturz als Gesamtkunstwerk

Auf dem Programmzettel zur jüngsten Premiere der Berliner Volksbühne steht: „Text: Jonathan Meese, Regie: K.U.N.S.T”. Und wie es so ist, wenn die Kunst selbst Regie führt, lässt sich gar nicht so leicht sagen, was an diesem Abend mit dem schönen Titel „Die Monosau“ eigentlich stattfindet.

Fakt ist: Es wird ausgiebig getanzt, gesungen, geraucht und geschossen – vor allem von der Schauspielerin Rosa Lembeck, und zwar aus einem Gewehr, das mit mörderischem Knall Luftschlangen in den Zuschauersaal ballert. Benny Claessens spricht als „Urkaschperl“ den zur Situation passenden Satz „Ich bin meine eigene Thematik“ und wird von seiner Kollegin Margarita Breitkreiz aufgefordert: „Sei du mal hier der Knüller!“

Wobei über Knüller-Potenzial auch Franz Beil verfügt, der mit einem milchigweißen Kurzumhang und der Ansage „Ich bin die hoch frequentierte Muschel“ an die Rampe tritt und die Disziplin des Bauchredens neu erfindet. Während Martin Wuttke im Cowboy-Outfit mit der komplett vergoldeten Susanne Bredehöft über die Bühne tänzelt, die „Goldfinger“-Assoziationen wachruft. Wie sich überhaupt das Gold als eine Art Leitmotivik herauskristallisiert, sofern man an diesem Abend überhaupt von einer solchen sprechen kann.   

„Die Monosau“ – so informiert die Website der Berliner Volksbühne – basiert auf einer losen Sammlung handgeschriebener Texte, Zeichnungen und Fotografien, die Jonathan Meese Mitte der 1990er Jahre „in einem einfachen Hefter zu einem Künstlerbuch kompiliert“ habe. Der Inhalt: „Eigene Wortschöpfungen“ über bekannte wie erfundene Persönlichkeiten, „Mythen, Macht-Menschen, Historie und Pop-Kultur“. Brigitte Meese, die Mutter des Künstlers, habe damals jede einzelne Seite des voluminösen Werks „in abendlicher Fleißarbeit“ abgetippt und das Manuskript an sämtliche namhaften Verlage geschickt, um ihrem Sohn zu helfen, „die Literaturgattung des Romans zu revolutionieren“.

Momente absoluter Rarität

Mit diesem Umsturz hat es bekanntlich nicht geklappt. Dafür gibt es jetzt ein „Buchobjekt in kleiner Auflage“, das durch Meeses Galerie verkauft wurde – und eben diesen knapp zweieinhalbstündigen Bühnenabend, von dem man leider auch nicht behaupten kann, dass er sein Genre revolutioniere.

Mit Fug und Recht aber lässt sich sagen, dass „Die Monosau“ ihre Momente hat. Denn an so einem „garantiert regiefreien Abend“, an dem sich unter dem Label der Kunst vier Schauspielerinnen und drei Schauspieler selbst inszenieren, bekommt man zumindest Dinge zu sehen, die absoluten Raritätenstatus haben.

Da blitzen zwischen Castorf-Volksbühnen-Retro-Augenblicken und ausdrücklich ungebremst zur Schau gestellter Künstlereitelkeit („Monosau“ eben), zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Komik, zwischen Sekunden tiefster Peinlichkeit und Minuten, um nicht zu sagen Stunden schier endloser Zähigkeit immer wieder genialische Momente auf, wie sie wirklich nur „die Kunst“ schaffen kann. Denn klar: Alles ist purer, ungesicherter, ungefilterter als an einem klassischen Regieabend; die Tiefen um Grade peinigender, die Höhen dafür aber auch auf Höchstniveau.

Selbiges erreicht der Abend, wenn die großartige Kerstin Graßmann, wichtige Protagonistin der einstigen Christoph-Schlingensief-Abende an der Volksbühne, mit gleichermaßen rotzig-kraftvoller und verletzlicher Stimme die berühmten „Wunder“ besingt, die es „immer wieder gibt“: schon jetzt ein Auftritt des Jahres, mindestens.

Stets ein Höhepunkt im mitunter arg mäandernden Geschehen sind auch die Momente, in denen der Künstler selbst einschwebt, Jonathan Meese: leider nicht live, aber immerhin als Videoprojektion auf einem eiförmigen Ballon, aus dem heraus Leitsätze aus der Diktatur der Kunst verkündet werden. Zum Beispiel: „Die Waffe ist gut, der Penis ist schlecht.“ Oder: „Wir müssen die Prolls der Kunst werden.“ Schließlich wird für 2023 das „Gesamtkunstwerk Deutschland“ ausgerufen – ein paar Monate haben wir also noch. (Wieder am 19. und 25. Februar sowie 5. und 19. März)

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